: „Sie versuchen zu verstehen“
■ Der senegalesische Sänger und Gitarrist Baaba Maal zur afrikanischen Popmusik und dem europäischen Publikum / „Unsere Musik muß man im Verhältnis zur Gesellschaft sehen“
taz: Welche Beziehung haben Sie zur traditionellen Musik Ihres Landes?
Baaba Maal: Meine Musik ist wie die großen Städte Afrikas, wie Dakar zum Beispiel. Da gibt es all die Dinge, die von außerhalb kommen, moderne Dinge des 20. Jahrhunderts, Autos, die Technologie und all das. Aber zur gleichen Zeit gibt es dort die traditionellen Zeremonien, man kleidet sich im Boubou. Die ganze Art zu leben ist noch sehr traditionell. Es gibt also eine Mischung aus beidem. Das macht die neuen Städte in Afrika aus. Und die Musik, die ich mache, ähnelt dem ein bißchen.
Gehen in den afrikanischen Großstädten die Traditionen verloren?
Wenn man nichts tut, um das kulturelle Wissen zu bewahren, dann wird die Tradition in der Zukunft, in kommenden Generationen, verlorengehen. Mit der Öffnung zur Außenwelt haben die jungen Musiker die Wahl, europäische Einflüsse aufzunehmen. Mansour Seck und ich sind zehn Jahre lang von Dorf zu Dorf gereist. Wir haben den Alten zugehört, den Griots zugehört. Sie haben uns die Geschichte der Musik erzählt, woher sie gekommen ist, welche Instrumente man einsetzen muß, um diese oder jene Botschaft zu vermitteln. Alles das ist wichtig für die afrikanische Musik. Denn sie ist eine Musik der Gesellschaft, eine Musik, die mit der Gesellschaft lebt, mit der man die Leute erzieht. Man sagt ihnen, wer sie sind. Man sagt ihnen etwas über Verantwortung. Man lehrt sie, die Älteren zu achten, die Familie. Man lehrt sie die Struktur der Gesellschaft, die Zeremonien, die Sprichwörter, die Lieder. All das haben wir gelernt. Aber heute haben die jungen Leute oft nicht mehr dieses Glück.
Worüber singen Sie in Ihren Liedern?
Ich wende mich an die jungen Leute. Sie sollen etwas über die Vergangenheit, über ihre Geschichte erfahren. Es geht aber auch um ihr Leben heute, ihre Sehnsüchte, die Liebe, die Freundschaft. Und es geht um die Öffnung zur Außenwelt. Ich sage: Wir sind junge Leute, junge Afrikaner, wir respektieren die afrikanische Gesellschaft. Gleichzeitig wollen wir junge Leute des 20. Jahrhunderts sein. Es gibt keine Grenzen für uns. Denn was in den USA, in Europa passiert, ist auch wichtig für uns.
Mittlerweile sind Sie ziemlich bekannt in Europa. Welchen Eindruck haben Sie von dem europäischen Publikum, das in Ihre Konzerte kommt?
Ich bin sehr zufrieden, daß das Publikum so aufmerksam ist, daß sie nicht tanzen, sondern beobachten. Sie versuchen zu verstehen, wie diese Musik gemacht ist, ihren Ursprung zu verstehen. Ich will nicht, daß die Leute kommen und nur tanzen, weil afrikanische Musik gerade in Mode ist. Afrikanische Musik ist eine Musik der Gesellschaft. Sie ist nicht dazu da, um kommerzialisiert zu werden. Sie hat eine Funktion bei jeder Etappe des Lebens. Damit die Leute das wahre Gesicht der afrikanischen Musik verstehen, müssen sie wissen, welche Rolle die Musik in der afrikanischen Gesellschaft spielt.
Ist es schwierig für Musiker im Senegal, eine Schallplattenproduktion zu realisieren?
Nicht für Leute wie Youssou N'Dour, Ismael Lo und mich. Wir haben Verträge mit großen Plattenfirmen, die Geld investieren können für die Aufnahmen. In Dakar gibt es zwei große Studios, wo man Aufnahmen machen kann. Manchmal wird dort nur ein Teil aufgenommen und der Rest in Europa mit anderen Musikern komplettiert. Aber es ist schwierig für die anderen jungen Musiker. Es gibt sehr viele junge Musiker im Senegal, die sehr, sehr gut sind, die Musik machen wollen, aber die keine Möglichkeit haben, weil die Strukturen nicht da sind. Deshalb haben wir im letzten Jahr einen Verband gegründet, Youssou N'Dour, Ismael Lo, ich und andere, einen Verband der professionellen Musiker. Wir kämpfen gegen die Raubkopiererei und versuchen, für die Produktionen dieser jungen Musiker und unsere eigenen einen afrikanischen Markt aufzubauen. Interview: Christoph Scheffer
Diskographie: Baaba Maal, Lam Toro, Mango/Island
Baaba Maal, Baayo, Mango/Island
Baaba Maal und Mansour Seck, Djam
Leelii, Rogue Records
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