: Generälin von List und Lüsten
■ Thalia-Theater: Wolf-Dietrich Sprenger inszeniert Lessings „Minna von Barnhelm“
Wie als Kontrast zu einer höchst sauber gefugten Inszenierung staubt und kracht es gelegentlich auf der Kellerbaustelle. Ziegelsteine poltern herunter und der geckenhafte Wirt fällt regelmäßig in Anrühr-Bottiche. Dagegen wird Lessings Spiel um die Vernunft, ob sie denn in Koalition mit der Liebe oder der Ehre erfolgreicher ist, von keinem schmutzigen Wagnis belästigt und ist dadurch locker unterhaltend. Denn Wolf-Dietrich Sprenger hat sich entschieden, Minna von Barnhelm nicht zu interpretieren, sondern so wirkungsvoll wie möglich in Szene zu setzen.
Dazu nimmt Sprenger den Ernst aus der Angelegenheit: Sein Tellheim (Hans Kremer), der ehrkranke, verabschiedete Soldat, der sich der Liebe nicht für wert hält, solange seine Rehabilitation durch die Obrigkeit nicht erfolgt ist, ist eine kindische Figur, deren verbohrter Stolz von Anfang an der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Weinerlich wo es geht und cholerisch wo nichts anderes hilft, offenbart sich seine soldatische Tugendhaftigkeit schnell als hilfloses Verschlußinstrument gegen die eigene Schwächlichkeit. Nur die konventionelle Szenerie, die den Tellheim im 18. Jahrhundert läßt, verhindert den assoziativen Vorschlag, daß dieser Mann einen Therapeuten aufsuchen sollte.
Minna (Sandra Flubacher), mit Accessoires der Intellektualität ausgestattet, ist da weit mehr Soldat. Als Generälin von Liebeslisten und nützlichen Sophistereien entspricht sie gekonnt dem neuen „starken“ Frauentyp der Illustriertenwerbung: emanzipiert, klug und wollüstig. Daß sie sich schließlich doch in der eigenen Intrige verheddert, macht sie nur sympathischer.
Man merkt also, ganz so traditionell, wie die Ausstattung daherkommt, ist das Lustspiel dann doch nicht gemeint. Als populäre Komödie mit zeitgenössischen Rokoko-Gestalten zollt Sprenger dem Boulevard-Theater seinen Tribut. Dadurch, daß er so hervorragende Schauspieler wie Kremer, Flubacher, Peter Franke oder Fritz Lichtenhahn zur Verfügung hat, kann er natürlich eine Differenziertheit erreichen, die es dort nicht gibt. Aber sein Augenmerk richtet sich auf das zufriedene Gesicht im Publikum, etwa, wenn er nach ressentiment-reichen Lachern fischt, indem er Minnas Zofe breit (und nicht immer richtig) sächseln läßt.
Am Ende, wenn die Liebesschwüre im roten Licht ersaufen, hat man mal wieder ein furios aufspielendes Thalia-Ensemble in einem sicherlich höchst erfolgreichen Repertoire-Stück gesehen. So hat sich die Vernunft nicht für Liebe oder Ehre, sondern für die Kasse entschieden. Till Briegleb
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