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Kleine Monster im Museum

Wie soll ein Kindermuseum aussehen? Eine Tagung in Berlin diskutierte äußerst erwachsene Konzepte  ■ Von Mirjam Schaub

Bauzaun aus Wackersdorf, feuchte Brötchen vom Bäcker nebenan, dazu ein weißer Stuhl mit Nägeln beschlagen – ein Arrangement ganz in der Tradition der arte povera?

„Sonderausstellung“ verheißt ein Schild am Eingang des Holzverschlags. Bücken muß man sich, um hineinzugelangen, an das Schummerlicht gewöhnen, endlich Zeuge eines Verbrechens werden: In den Ecken des Schuppens liegen, sorgsam drapiert, zerstückelte Kasperlepuppen, abgehackte Hände und geköpfte Köpfe. An den Grenzflächen der aufgeschlitzten Gummiteile bricht sich im Widerschein das grüne Deckenlicht. Der Raum wirkt wie eine Reinszenierung aus dem Film „Das Schweigen der Lämmer“, eben jenes „Self Storage“- Schuppens, in dem die Agentin Starling das erste Opfer des gesuchten Massenmörders findet, eine Ankleidepuppe, bespannt mit Menschenhaut. – Nicht kranker Geist oder Exzentriker waren hier am Werk, sondern Kinder zwischen sieben und fünfzehn Jahren. „Der vergessene Raum – Zufall & Unglück“ heißt ihre Installation, lakonisch der Slogan zur Linken „Life is not easy in the city, what a pity!“ Der verschrobene Raum ist Teil eines gigantischen Labyrinths, das im Spätsommer im Münchner Ostpark auf Initiative der SPIELkultur e.V. entstand. Auf den quatschnassen Wiesen des Ostparks muß er dann irgendwann stattgefunden haben, der genüßliche Serienmord an den Kasperlepuppen... Implantiert in das „Haus der Kulturen der Welt“ war der grausame Fund vier Tage lang in Berlin zu sehen. Etwas verloren in einer Projektbörse, die vom Topfstudio bis zum Seifenladen alles vorstellte, was weltweit unter dem Begriff „Kindermuseum“ verstanden wird, war er doch der schönste Beweis, daß wohlmeinende Eltern nicht immer niedliche Kinder haben, sondern Monster...

Mehr als vierhundert (erwachsene) TeilnehmerInnen aus dreißig Ländern sind am ersten Novemberwochenende in die John- Foster-Dulles-Allee gekommen, zur internationalen Fachtagung der Kinder- und Jugendmuseen: „Hands on!“ – „Anfassen erlaubt!“ Die Idee, die dahinter steht, ist ebenso einfach wie schlüssig: Die traditionellen Museen nehmen Kinder als BesucherInnen nicht ernst genug, also müssen neue Museen speziell für Kinder geschaffen werden. Räume, in denen sie nach Herzenslust spielen, doktern, laborieren dürfen. Wo alles berührt, verrückt, verschoben werden darf. Orte, die nach den Wünschen der Kinder entstehen, sich täglich wandeln, angereichert sind mit allem, was Kinder mitbringen, aufheben, sammeln wollen: Abziehbildchen, Dinosaurier aus Gummi, Küchenmaschinen oder Weltkriegsorden. „Kinder lernen am besten, wenn sie's selber machen. Sie können sich so die Welt spielerisch aneignen und so lernen, wie das große Museum später funktioniert“, erklärt Wolfgang Zacharias, der seit Jahren mit viel Erfolg die schon erwähnte SPIELkultur in München betreut.

Doch was in der Planung so logisch klingt, stößt in der Umsetzung auf ungeahnte Probleme. Soll es nun ein Museum von Kindern oder für Kinder oder beides zugleich sein? Bislang gibt es in Deutschland viele kleine zersplitterte Projekte, die sich alle einer Facette des Problems widmen. Wahlweise dürfen Kinder Masken tragen, um sich fremde Kulturen anzueignen, müssen sich im Labyrinth verirren, um darin Max Beckmanns „Großes Stilleben mit Fernrohr“ zu finden; sie sollen Seifenblasen pusten, Feuerwehrautos fahren, ihren Stadtteil erkunden oder einen Laden mit ihren liebsten Objekten ausstatten... Viele dieser „spielerischen“ Angebote gibt es mittlerweile auch in den traditionellen Museen. In der Kindergalerie im Berliner Bode-Museum zum Beispiel trinken die Kleinen türkischen Tee zusammen, im Juniormuseum für Völkerkunde in Dahlem kann man sie beim Blasrohrschießen beobachten, die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz stellen ihnen „interessante Beobachtungsaufgaben“ und allerorten sitzen die Vierjährigen mit ihren freundlichen Erzieherinnen im Kreis und quatschen über Arp, Ernst und Schwitters, böwörö tä zee Uuu...

Solange allerdings die Ausstellungen selbst unanschaulich, das heißt unantastbar, in Vitrinen verschlossen sind, werden Kinder notwendig ausgeschlossen. Die pädagogischen Anstrengungen bleiben ein Trostpflästerchen. Das jedenfalls meinen all diejenigen, die zur Gründung eines eigenen Kindermuseums entschlossen sind. Das zum Beispiel vom „Neuen Universum e.V.“ in Berlin geplante Museum soll – idealerweise – eine „Enzyklopädie des Lebens“ sein, mit Werkstätten und Ateliers zu evolutions-, gattungs- und kulturgeschichtlichen Fragen. „Wie wäre es, wenn ich ins Innere meines Körpers reisen würde? Warum ist Recycling wichtig? Wie wäre es, wenn man das Gras wachsen und die Flöhe husten hörte? Was bedeutet es, aus seiner Heimat vertrieben worden zu sein?“ – einige Fragen, die Yvonne Leonard* vom „Neuen Universum“ mit ihren Besucherinnen behandeln will.

Daß es dieses Museum bis heute nicht gibt hat gute und schlechte Gründe. Vor allem die traditionellen Museen stellen sich quer. Angst spielt eine Rolle, aber auch Argwohn und offene Ablehnung, geboren aus der wahrscheinlich begründeten Furcht, die „Neuen“ könnten es tatsächlich besser machen. Die traditionellen Museen hüten ihre wertvollen Sammlungen mit Argusaugen. Jeder Besucher ist ein potentieller Banause, der die göttliche Ruhe der Ausstellung stört.

Schon 1955 hatte Adorno in seinem Essay „Valéry Proust Museum“ festgestellt: „Der Ausdruck museal (...) bezeichnet Gegenstände, zu denen der Betrachter nicht mehr lebendig sich verhält und die selber absterben. Sie werden mehr aus historischer Rücksicht aufbewahrt als aus gegenwärtigem Bedürfnis. Museum und Mausoleum verbindet nicht bloß die phonetische Assoziation.“

Der Dichter Paul Valéry etwa soll seinerzeit völlig hypnotisiert aus dem Louvre gestolpert sein, entsetzt von all dem Ballast und Bombast, der Überfülle der Objekte. Nichts „Köstliches“ sei an dem Ort zu finden, an dem man „lauter spreche als in der Kirche, aber doch leiser als im Leben.“ Valéry fühlt sich bedrängt „schon von der autoritären Geste, die ihm den Spazierstock abnimmt, und von dem Schild, welches das Rauchen verbietet.“ Alle Kunst war für Valéry genau in dem Moment verloren, in dem sie ihre Beziehung zum sozialen Zusammenhang verlor, katalogisiert nur als toter Gegenstand, irgendwo in einer fettfreien Museumsecke. Die Rückkehr zur Praxis, die heute die Kindermuseums-MacherInnen propagieren, dürfte ganz im Sinne des französischen Dichters sein.

Kindermuseen gibt es in den USA seit etwa hundert Jahren. Ein wesentlicher Unterschied zu den nun in Europa geplanten Projekten liegt allerdings darin, daß man in den Museen von Boston, Sudbury, Pittsburgh, Indianapolis oder Lexington den Schwerpunkt auf die Vermittlung von High-Tech legt. Das erklärt nicht nur die hohen Sponsorengelder aus der Industrie, sondern auch, warum es für viele Eltern attraktiv ist, ihre Kinder ins Museum zu schicken – an ihren späteren „Ausbildungsplatz“ sozusagen. Längst haben die Kindermuseen in den USA, etwa 200 an der Zahl, den traditionellen Museen den Rang abgelaufen. Sie sind Orte einer neuen „Familienfreizeit“ geworden. Marjorie Lefcowitz Schwarzer vom „Children's Museum Chicago“ beschreibt das Phänomen so: „Die Großen wollen auf einmal das tun, was die Kleinen tun. Sie werden lachen, aber das größte Problem, daß wir in den Museen haben, sind die Eltern der Kinder. Wenn die Kinder längst in das nächste Zimmer weitergehen wollen, bestehen ihre Väter darauf, weiter mit ,ihrer Eisenbahn‘ zu spielen.“

Die Tagung „Hands on!“ im Haus der Kulturen der Welt war wahrscheinlich aus eben diesem Grund ein so großer Erfolg. Je länger die Erwachsenen darüber diskutierten, wie schön und aufregend man das Kindermuseum machen wolle, desto stärker wuchs das Verlangen und die Lust am eigenen Mitmachen. Wahrscheinlich hielt sich auch deshalb so hartnäckig die Meinung, Kinder wollten ja doch nur das eine: Erwachsensein spielen. Wer schwärmte nicht von seinem Kindermuseum, weil die Kleine da endlich tut, was der nette Erwachsene von ihr erwartet? Doch was tun, wenn das Monster gar keine mundgerecht portionierte Welt will, sondern lieber systematisch Kasperlepuppen köpft?

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