piwik no script img

Unterm Strich

Nun ist sie offen, unsere Zentrale Gedenkstätte, sie weinte sogar ein bißchen (wegen der Chaoten und Polizisten und der Kohl-Witze, die schon im Vorfeld über Käthe gemacht wurden): Was bei der umstrittenen Neu- und Umeinweihung der Neuen Wache recht war, soll auch im Land Brandenburg als Geschichtsmuster so bleiben: Roland Resch, seines Zeichens Bildungsminister im Bundesland vor den Toren Berlins, warnte zur Foto-Ausstellung „Wehrlager in der DDR“ von Jonas Maron vor allzu leichtfertiger Verdrängung der Vergangenheit. Nein, die DDR soll keiner nicht vergessen dürfen, finden wir auch. Aber wie wäre es, wenn man, statt Fotos von Pennälern zu zeigen, die auf der lauschigen Insel Rügen auf Geheiß von Egon Krenz durch Feld und Dünen robben mußten, irgendwann etwas Normalsterblich-Freundliches vom Leben im einstmals nett-melancholischen Jugendalltag hinter der Mauer berichten würde? Vom Prenzlauer-Berg-König der Rock-Gruppe „City“ etwa, der auf seinem Moped wie James Dean durch die Lande zog, der raufte, saufte und am Ende dann in Schkopauer Kneipen und auf Cottbusser Jahrmärkten so richtig fett die Bräute abschleppen durfte? Oder von Kifferkreisen in Karl-Marx-Stadt, die sich bei einem der sommerlichen Jazzfeste mit ihren polnischen Studentenkumpels aus Gliwice oder Kraków bei gutem Rauch solidarisierten? Oder von FDJüngelchen, die ihre erste zartkeimende Homosexualität beim Zelten an der Ostsee entdecken? Nein, so etwas darf es nicht gegeben haben, nur jede Menge „Geschichte, Struktur und Funktionsweise der DDR- Volksbildung“. Klingt verdammt real sozial.

Sehr viel interessanter scheint da die Aktion „My Inner Beast“ mit der Erinnerung zu spielen. Seit letztem Freitag hat die Künstlergruppe Cogito für jeweils 14 Tage in 20 verschiedenen europäischen Städten die Plastik „Mein Innerer Schweinehund“ aufgestellt – eine schwarzbraun gefärbte Beton-Wutz mit bodenlangem Regenmantel. Laut der bekennenden Happening-Gruppe wachsen die jetzt schon zwei Meter hohen Ferkel, „wenn Menschen Opfer der Gewalt, der Erniedrigung und respektlosen Verhaltens werden“, deswegen dürfen sie auch „nicht gefüttert werden“.

Das sind die Trends jetzt: Tätowierungen sind out, der moderne Mensch fügt sich statt dessen kleinere Verbrennungen zu oder verätzt sich laut Wiener mit Säure den formschönen Leib. Wahrscheinlich guckt trotzdem wieder kein Schwein.

Nicht weniger seltsam lesen sich die Sätze von Doris Lessing, mit denen sie in der Reihe „Reden über das eigene Land“ zu ihrem Münchener Publikum sprach. Der Traum von der perfekten Gesellschaft, in der es keine Ungerechtigkeiten und keine Armut gebe, müsse wiederkommen, sagte die resolute Tochter eines englischen Offiziers. Der Vortrag wurde mit herzlichem Applaus bedacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen