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Unterm Strich

Es werden wieder einmal Werte durch die Republik geschoben – von West nach Ost: Der in Berlin lebende Kunst- und Musikwissenschaftler Gerd de Vries stiftet seine umfangreiche Bibliothek zur Kunst der Nachkriegszeit den Kunstsammlungen zu Weimar. Auf diesem Wege gelangen 3.000 weitere Bücher, Kataloge und Zeitschriften zur internationalen Avantgarde in die thüringische Stadt, die bislang als Sitz der Goethe-, Shakespeare- und Dante-Gesellschaft schon eine Menge Lesbares versammelt hatte. Die Stiftung wird sicherlich dazu beitragen, daß die Stadtoberen sich nun noch zuversichtsvoller für eine Kandidatur Weimars als europäische Kulturhauptstadt bewerben werden. Das ist zugegebenermaßen eine klasse Idee. Demnächst schleppen wir dann im Falle dringlicher Bedürftigkeit ganz einfach das Schatzkästlein der Kultur herbei: Geht's mit Buxtehude bergab, wird flugs der Pergamonaltar uminstalliert, für größeren Flurschaden wie etwa in Rostock und Mölln könnte man wahlweise den Kölner Dom, das Berliner Stadtschloß oder besser noch die Neue Wache – pardon, es muß natürlich Zentrale Gedenkstätte heißen – verschieben.

Apropos Buxtehude – die gesamten erhaltenen Werke des Barockkomponisten Dietrich Buxtehude liegen zum ersten Mal in ihrer europäischen Einspielung auf CD vor. Was der Franzose René Saorgin 1969 in einem wahren Orgelmarathon in drei verschiedenen Ländern, nämlich Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden, auf sieben durchaus ebenmäßigen, in schwarzem Vinyl gehaltenen Schallplatten aufgenommen hatte, beansprucht nun lediglich noch den Platz von fünf kompakten Silbertalern. Aus ähnlich beengenden Platzgründen sei hier nur darauf hingewiesen, daß der Geburtsort von Buxtehude ungeklärt blieb. War's Helsingborg, Helsingör oder Oldesloe? Gewichtige Fragen für Musikhistoriker. Schließlich könnte demnach die Herkunft des größten Orgelkünstlers vor Johann Sebastian Bach dem Ausland zugeschrieben werden, was womöglich lawinenrutschartige Neuinterpretationen nach sich zöge, zumal sich in seiner Vokalmusik deutliche italienische Einflüsse zeigen. Der Kirchenmusiker als Hans Dampf in allen Gassen und voraufgeklärter Halligalli- Bruder? Das dann doch nicht. Aber das Ullstein-Lexikon der Musik tut sich auch in seiner Neuauflage von 1989 mit Eindeutigkeiten in Sachen Buxtehude schwer: „Die Geburt in Oldesloe gilt neuerdings als am wahrscheinlichsten, so daß B. also vermutlich Deutscher war. Jedoch ging er frühzeitig nach Helsingör“. Da freut sich doch unsere Tante Trude.

Dagegen gilt schon seit 1947 als bewiesen, daß der Weihnachtsmann aus Amerika stammt. Wozu wäre sonst der Film „Das Wunder von Manhattan“ gedreht worden? Ein Remake konnte und wollte nicht ausbleiben. John Hughes, übernehmen Sie.

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