: Unterm Strich
Wir geben Ihnen hiermit schriftlich kund und zu wissen, daß die Welt keineswegs ungeordnet auf einen einstürzt, sondern daß es Gesetze und Regeln gibt, nach denen sich selbst das Zufälligste, Kontingente zu richten hat. Es kommt nämlich ein Gesetz für den Fall einer nicht zu vertretenden Unmöglichkeit zur Anwendung. Solches galt auch im Falle Biermann, über den wir Sie nun wirklich stets und gern auf dem laufenden halten. Der letzte Stand: Biermann, nicht unähnlich unserem Kaiser Wilhelm, wollte auf seinen angestammten Platz zurück, in seine Wohnung in der Berliner Chausseestraße, welche mittlerweile von keinem geringeren als dem Pressesprecher der PDS, Roman-Hanno Harnisch, bewohnt wird. Das findet selbst ein Friedensclown nun nicht mehr komisch, und hat sich deshalb einen Anwalt gesucht, und zwar, warum nicht gleich so, den Berliner CDU-Politiker Uwe Lehman-Brauns. Zugleich demonstrierten ehemalige Bürgerrechtler vor dem Berliner Abgeordnetenhaus für eine Rückkehr Biermanns. (Sie können sich vorstellen, daß auch wir gleich fünf Mann hoch zum Abgeordnetenhaus gerannt sind und für den Wiedereinzug von Karl Carstens in das Schloß Bellevue demonstriert haben: so wandern konnte nämlich keiner, schon gar nicht Häuptling Silberlocke.) Die wackeren Bürgerrechtler wollen an der Chausseestraße eine Tafel anbringen, auf der an den Rausschmiß Biermanns 1976 erinnert wird. Warum nicht gleich etwas an die Hauswand sprühen, so wie „PDSler“ oder ähnliches, historische Vorbilder gab's da in Berlin ja in rauhen Mengen.
Jedenfalls hat sich die Wohnungsbaugesellschaft nicht lumpen lassen und eine passende Antwort erteilt: Weder habe Herr Biermann im Jahre 1976 die Wohnung freiwillig verlassen, noch sei dieser Umstand dem Rechtsvorgänger, der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Berlin-Mitte, anzulasten. Abschließend schlug die Wohnungsbaugesellschaft charmanterweise vor, in der ehemaligen Wohnung der Mandantschaft ein Wolf-Biermann-Museum einzurichten, welches von dem Kläger mit Material bestückt werden könnte. Dort selbst solle auch eine Begegnungsecke eingerichtet werden, in der ehemalige Stasi-Spitzel ihr Coming-out zelebrieren und ihre Opfer um Verzeihung bitten können. Finden wir eine prima Idee.
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