Wahlkampffit: SPD schluckt Scharpings Kröten

■ Knappes Votum für Großen Lauschangriff / Mehr Stimmen für Lafontaine als für Scharping

Wiesbaden (taz) – Die Sozialdemokraten sind auf dem Parteitag in Wiesbaden der von Rudolf Scharping vorgegebenen Strategie weitgehend gefolgt. Der Parteivorsitzende hatte die Delegierten dazu aufgefordert, Geschlossenheit zu zeigen und sich durch Streit um die von den Konservativen gesetzten „falschen Themen“ nicht von dem zentralen Thema Arbeitsplätze ablenken zu lassen, das die Partei zum Mittelpunkt ihrer Politik im Wahljahr 1994 machen will. Die Delegierten folgten auch in den strittigen Fragen der Außenpolitik und Inneren Sicherheit der vorgegebenen Linie. Gestern verabschiedete der Parteitag den Leitantrag zur Außenpolitik, in der Nacht zum Mittwoch hatten die Delegierten mit knapper Mehrheit den „Großen Lauschangriff“ gutgeheißen.

In der Außenpolitik bleibt es bei der Zustimmung der Partei allein zu humanitären Einsätzen der Bundeswehr. Nicht durchsetzen konnte sich die Position des rechten „Seeheimer Kreises“ und des SPD-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Klose, die mit dem Argument, die Bundesrepublik müsse sich zu ihrer Verantwortung innerhalb der Vereinten Nationen bekennen, die Teilnahme auch an Kampfeinsätzen befürworten.

In der Nacht zum Donnerstag hatten die Delegierten mit knapper Mehrheit dem Großen Lauschangriff zugestimmt und damit für eine Grundgesetzänderung plädiert. Wanzen in Wohnungen sollen gestattet werden, sofern ein Richterkollegium dem zustimmt. Scharping sprach sich in der Debatte für den Lauschangriff aus und stellte eine Verbindung mit seiner Kanzlerkandidatur her: „Ich möchte nicht mit auf eine Reise gehen, wenn jetzt schon absehbar ist, daß die Sozialdemokratie die Auseinandersetzung verliert.“ In einem langwierigen und verwirrenden Abstimmungsverfahren stimmte schließlich eine knappe Mehrheit (196 zu 181) für den Eingriff in das Grundrecht. Zur Dekoration durfte dann gestern nachmittag der Vorsitzende des jüdischen Zentralrates, Ignatz Bubis, vor einem Rechtsruck in den Wahlkämpfen des kommenden Jahres warnen.

Knapp mehr Stimmen als Scharping bei seiner Wiederwahl zum Parteivorsitzenden erhielt Oskar Lafontaine bei der Besetzung der Stellvertreterposten. Mit 84,3 Prozent der Stimmen erzielte er sein bislang bestes Wahlergebnis auf diesem Posten. Lafontaine hatte sich für seine Äußerungen zur Lohn- und Rentenentwicklung in Ost und West entschuldigt und gefordert, die konsumtiven Ausgaben zugunsten von Investitionen zu kürzen.

Der Installierung eines fünften Stellvertreterpostens hatten die Delegierten schon am Mittwoch zugestimmt. Fast einstimmig (97,5 Prozent) wurde Johannes Rau im Amt bestätigt, der seine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten bekräftigte. Gewählt wurden Wolfgang Thierse (88,1 Prozent), Herta Däubler-Gmelin (83,2) und Heidemarie Wieczorek-Zeul (70,2). Mon Seite 3, Kommentar Seite 12