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Viel Tristesse in der Hauptstadtdebatte

■ FU-Tagung über Perspektive Berlins offenbart auch nur Provinzielles

Berlin soll richtig Hauptstadt werden – das hat offenbar etwas Klandestines. „Das bleibt aber unter uns“, raunte der Tübinger Jura- Professor Michael Ronellenfitsch den Diskutanten einer wissenschaftlichen Tagung des Fachbereichs Politische Wissenschaften der FU über die Perspektive und Rolle der Hauptstadt Berlin zu. Er hatte gerade verraten, warum die Bundesregierung die Planungsherrin für die vielen Tunnelröhren unter dem künftigen Regierungsviertel sein soll. „Wir werden so viele Kosten auf den Bund oder private Investoren abwälzen, wie es nur geht“, sagte der Jurist, der nicht irgendwer ist, sondern der planungsrechtliche Berater von Verkehrssenator Herwig Haase.

Die Hauptstadtfrage hat etwas Provinzielles. In der abgeschiedenen Dahlemer Boltzmannstraße diskutierte man über Berlin als politische Metropole. Statt einer visionären oder wenigstens perspektivischen Zusammenfassung endete die zweitägige Konferenz mit dem Verkehr und den Tunnelröhren. Und so durfte Haases Berater seine Essenz zum besten geben: In Berlin müsse man größere Verkehrsprojekte quasi „militärisch durchsetzen“. Er sei, „im Gegensatz zu einigen Kreuzberger Autonomen“, bereit, die im Schatten der Mauer gewachsenen Verkehrsnischen aufzubrechen. Dank Ex-Verkehrsminister Günter Krause sei das inzwischen leichter. Denn der habe den „Wildwuchs“ im Planungsrecht – Bürgerbeteiligung, Umweltverträglichkeitsprüfung, Widerspruchsrechte – auf ein gesundes Maß zurechtgestutzt.

Dank Ronellenfitschs Beratertätigkeit plant nun also die Bonner Administration die Tunnel unter dem Regierungsviertel. Der rheinische Beamtenapparat aber sei einer der größten Bremser bei der Umsetzung des Hauptstadtbeschlusses. Das war eine Quintessenz der Podiumsdiskussion am ersten Konferenztag in Dahlem. Die andere: Die Hauptstadtdebatte hat etwas überaus Tristes. Wenn's um den Zustand der Wirtschaft geht, dann waten die Berlinexperten in einem Tal von Tränen. Es gehe darum, möglichst viel Industrie hierzubehalten. So lautete die beinahe flehentlich ausgestoßene Durchhalteparole eines hohen Beamten (Jochen Baethgenhagen) bei Wirtschaftssenator Meisner. Dagegen stehen die Zahlen, und der Trend hält an: Von 180.000 Industriearbeitsplätzen im Osten sind, vereinigungsbedingt, nur 40.000 übergeblieben. Und nun wandert die Wertschöpfung ab ins Umland. „Ich habe noch eine Werkbank in Berlin“, das ist Nostalgie.

Hat Berlin etwas Europäisches? Zunächst verliert es einmal seine einzige Institution der Europäischen Union. Der Stier trägt die anmutige Europa in Form des „Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung“ (Cedefop) nach Thessaloniki in Griechenland. Norbert Wollschläger, Mitarbeiter des Cedefop, setzte voller Ingrimm zu dem Umzug der europäischen Regierungschefs noch eins drauf: „Berlin wird nicht davon europäisch, daß man Europafahnen vor Rathäusern und Tankstellen aufzieht“. Und Europaschulen habe die Stadt nicht wirklich, sondern nur Schulen, die diesen Titel aus „rhetorisch-politischen Gründen“ trügen. Die Schulen müßten zuviel mit dem preußischen Schulamt kämpfen, als daß sie Europa vermitteln könnten.

Zwischen „Selbstüberschätzung und Selbstzerfleischung“ – so charakterisierte der ebenso profund wie engagiert referierende Heidelberger Politikwissenschaftler Klaus von Beyme die Berliner. Er dämpfte die Euphorie um den Regierungsumzug, der sich auch bei den Experten als die letzte Berliner Trumpfkarte entpuppte. Das Gute ist am Ende das Böse, das man unterläßt, und an Schlechtem fiel Beyme dreierlei ein: Die „völlige Konzentration der Regierungsbauten in der Stadt“; sie habe nicht stattgefunden. Die „Abriegelung der Regierungsviertel von der Bürgergesellschaft“ könne noch verhindert werden. Und die „Neigung zu pompöser Bebauung“ werde sich von alleine erledigen: mit der Wirtschaftskrise. Christian Füller

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