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„Ich hab' halt einfach mitgemacht“

Der SportJugendClub Lichtenberg betreut straffällige Jugendliche im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Gewalt / Drei Jugendliche berichten über ihre Erfahrungen mit dem Projekt  ■ Von Elke Wittich

Schon kurz nach der Wende war der damals 13jährigen Sylvia klar, daß sie sich entscheiden mußte, ob sie „zu denen gehören wollte, die den ganzen Tag vor dem Fernseher hängen, oder zu denen, die richtig was losmachen“. Schnell fand sie den Anschluß an eine rechte Clique („Wenn die links gewesen wären, wäre ich eben auch links geworden“) und begann, konsequent die Schule zu schwänzen, was im allgemeinen Chaos während der Schulreform im Osten zunächst niemandem auffiel. „Unsere Lehrer waren überfordert, die mußten sich ja erst mal selber ordnen!“ Gemeinsam verübte die Gruppe Straftaten und wurden zwangsläufig irgendwann erwischt. Beinahe zwei Jahre später mußte sich Sylvia vor Gericht verantworten.

Straffällig gewordene Jugendliche wie sie werden dann häufig, neben Sozialarbeit, Geld- und in härteren Fällen Bewährungsstrafen, zur Teilnahme an einem sozialen Verhaltenstraining „verurteilt“. Zuständig für die Jugendlichen aus Lichtenberg und Marzahn ist ein Projekt der Sportjugend Berlin, der SportJugendClub Lichtenberg (SJC). Er wurde kurz nach der Wende von den dort arbeitenden Pädagogen kurzerhand besetzt, transferierte Gelder vom Deutschen Sportbund sicherten das Überleben fürs erste. Später schloß man sich dem Landessportbund an. „Gerade Jugendliche integrieren sich im Sport“, sagt Peter Morgenstern vom SJC. Man bietet Kraftsport an, Basketball und Fußball. Durch die guten Verbindungen zu einigen Sportvereinen dürfen die Jugendlichen dort fast umsonst mittrainieren – und lernen so das Einhalten von Regeln.

Das Konzept überzeugte: Als einziges Sportprojekt Deutschlands wird er durch das „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ der Bundesregierung gefördert. In Gruppengesprächen versucht man, gemeinsam mit den Pädagogen, Ursachen und Motiven der Tat(en) auf den Grund zu gehen. Mehrfachtäter, zwischen 15 und 22 Jahre alt und hauptsächlich wegen Diebstahls und Körperverletzung verurteilt, haben darüber hinaus die Möglichkeit, an einem Bildungsurlaub teilzunehmen. Körpererfahrung durch Sport soll dort vermittelt werden, Naturerfahrung und ganz allgemein die Möglichkeit, andere Eindrücke zu sammeln.

Neben Sylvia nehmen noch zwei Jungen am Trainingskurs teil. Thomas, im Punk-Outfit, rechnet sich heute nicht mehr explizit zu den Linken, seine Freunde aus seiner Clique sind mittlerweile Skinheads geworden, „aber unpolitisch“. Carsten war zur Tatzeit 16. Er traf sein Opfer in einer Disco: „Der hat mich dumm angemacht – so blöde anjekiekt und dusselig vollgequatscht.“ Carstens „Angebot“, die Dinge draußen vor der Tür zu erledigen, nahm sein Kontrahent an – und unterlag im Zweikampf. Angezeigt wurde er von der Mutter des Opfers. „Er ist ja aber mit rausgekommen, das war sein Ding, ob er mitkommt oder nicht!“

Carsten, ein eher in sich zurückgezogener Typ, will sich jetzt, über ein Jahr nach der Tat, ganz auf seinen erfolgreichen Lehrabschluß konzentrieren. Ob er danach von seinem Betrieb übernommen wird, weiß er zwar noch nicht, aber immerhin steht fest, daß er mit Gewalt nichts mehr zu tun haben will. Sylvia verprügelte mit anderen gemeinsam eine Frau, weil „sie immer so genervt hat“, wohl eine maßgebliche Folge des Gruppendrucks. „Die haben auf sie eingeschlagen, aber die hat sich nicht gewehrt. Irgendwann hatten sie dann keine Lust mehr und haben zu mir gesagt: ,Jetzt bist du dran‘, und ich hab' halt einfach mitgemacht.“

Natürlich spricht man nicht nur über die Täter, sondern auch über die Opfer, was haben sie gefühlt, hat man selbst Mitleid oder eher Angst gehabt, kann man sich heute entschuldigen? Im Gericht traf Sylvia ihr Opfer wieder: „Wir haben gleich losgequatscht und uns gut verstanden.“ Carsten legt Wert darauf, daß er „aufgepaßt hat, daß der Typ nicht mit dem Kopf auf den Boden aufschlägt, ich hab' ihn sogar noch aufgefangen“.

In der Gruppe bespricht man nicht nur das Verhalten von Täter und Opfer, sondern auch das der Polizei, deren Vorgehen bleibenden Eindruck hinterlassen hat: „Bei der Vernehmung sind die Beamten völlig grob geworden“, erzählt Sylvia, die seitdem „furchtbar Angst vor der Polizei hat“ und allein schon deswegen glaubt, daß ihr so etwas nie wieder passieren wird.

Sylvia geht wieder zur Schule, allerdings zu einer anderen, ihre Mutter bestand darauf, sich einen neuen Freundeskreis zu suchen. „Ich will das jetzt endlich vergessen, aber nicht in dem Sinn, daß ich wieder Scheiße bauen will“, sagt sie. Nun strengt sie sich in der Schule an, denn schließlich hat sie einen festen Berufswunsch. Den will sie zwar nur verraten, „wenn keiner lacht“, aber auf die große Enthüllung hin prusten dann doch alle los. Rechtsanwaltsgehilfin will sie werden. „Da hat der Richter bei der Verhandlung ooch gelacht.“ Besonders mißlich finden die drei, daß es so lange gedauert hat, bis ihr Fall vor Gericht kam. Alle hatten dementsprechend Mühe, ihre Tat nach so langer Zeit noch nachzuvollziehen, zumal sich auch ihr Verhältnis zur Gewalt in dieser Zeit geändert hat.

„Das weiß ich mittlerweile von alleine, daß ich nicht mehr so was mache“, sagt Sylvia, und die beiden Jungs nicken dazu. Das soziale Trainingsprogramm scheint sie alle aber anzusprechen, „denn schließlich ist es ganz gut, mal mit anderen über ein Problem zu sprechen, von den Freunden oder Eltern weiß man ja, wie sie denken.“ Und schließlich legen sie großen Wert darauf, wie gut sie es finden, daß sie nun wissen, wo sie sich im Notfall hinwenden könnten, „bevor, theoretisch jetzt, wieder so'n Scheiß passiert“.

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