: Gegen PVC hilft nur Zwang
Auf der heute beginnenden Umweltministerkonferenz steht erneut die Reduzierung des chlorchemischen Materials auf der Tagesordnung / Chemielobby hat die Politik fest im Griff ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Die PVC-Industrie spielt gerne Opfer. Die Umweltschädlichkeit ihrer Produktion sei üble Nachrede. Schon eine Kennzeichnung der Rohre und Flaschen, die aus dem chlorchemischen Material hergestellt werden, sei eine „Diskriminierung“, die nicht hinzunehmen sei.
Eine freiwillige Herstellungsbeschränkung oder ein Umsteigen auf andere, weniger schädliche, Stoffe ist mit solchen Managern nicht zu machen. Das müßten auch die Umweltminister der Länder und ihr Amtskollege Klaus Töpfer aus Bonn konstatieren, wenn sie sich heute in Saarbrücken versammeln. Über ein Jahr ist vergangen, seit sie einen Neun-Punkte-Katalog beschlossen, mit dem der PVC- Verbrauch gesenkt und die Entsorgung erleichtert werden sollte. Als Instrument zur Durchsetzung hatte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Umweltchemikalien mit dem Kürzel BLAU zunächst vor allem auf die Einsicht der Industrie gesetzt und freiwillige Selbstverpflichtungen empfohlen.
Geschehen aber ist seither nichts. Zwar wurden die Herren der Industrie im April nach Bonn geladen, wo sie die Gelegenheit nutzten, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Ihre Zugeständnisse aber waren minimal: In zehn Jahren soll bei der PVC-Produktion auf Cadmium und Blei verzichtet werden. Stolz verwiesen sie auf eine Sortieranlage für Plastik mit einer Jahreskapazität von 5.000 Tonnen – lächerlich wenig bei 1,3 Millionen Tonnen PVC, die Jahr für Jahr durch deutsche Werktore rollen.
Die Umweltministerkonferenz will nun heute prüfen, wie weit die Umsetzung ihres Beschlusses vom letzten Jahr gediehen ist. „Sie müßten reagieren, wenn sie nicht völlig unglaubwürdig werden wollen“, meint Andreas Ahrens vom Hamburger Institut Ökopol, der für Greenpeace eine Studie über die Interpretationsspielräume des BLAU-Berichts erstellt hat. Der Bremer Umweltsenator Ralf Fücks (Die Grünen) hat einen Beschlußvorschlag im Gepäck, der PVC für Verpackungen, Tapeten, Möbel und andere schwer wiederverwertbare Gegenstände verbieten will. Ein Verwendungsverbot eines bestimmten Materials auf der Grundlage des Abfallgesetzes wäre ein Präzedenzfall. PVC hätte also die einmalige Chance, einmal mit einer positiven Nachricht in die Umweltberichterstattung einzugehen.
Die Chancen dafür stehen aber nicht allzu gut. Denn nicht nur die Bundesregierung hat den Mitarbeitern im Umweltministerium hinter vorgehaltener Hand, aber unmißverständlich signalisiert, daß vor den großen Wahlen kein Konflikt mit der chemischen Industrie mehr geduldet würde. Auch das sozialdemokratisch regierte Nordrhein-Westfalen trägt ein Stillhalteabkommen mit den PVC-Herstellern mit, weil die Regierung von der IG-Chemie unter Druck gesetzt wird. Obwohl nur etwa 6.000 Menschen unmittelbar mit der Herstellung von PVC beschäftigt sind, verarbeiten mehr als 60.000 Leute das gefährliche Material zu Fensterrahmen, Fußbodenbelägen und Kanistern weiter. Ihnen glauben die Gewerkschafter durch eine Vogel-Strauß-Politik, die die Emission von krebsverursachenden Substanzen ebenso wie Dioxingefahren ignoriert, einen Dienst zu erweisen.
Daß aber auch bei gutem Willen die Lobby der Chemiegiganten nicht einfach zu übergehen ist, mußte vor einiger Zeit die rot- grüne Koalition in Hessen eingestehen. Sie nahm den einstimmig gefaßten Beschluß von 1990 zurück, der ein Verbot von PVC-Produkten im sozialen Wohnungsbau und in öffentlichen Gebäuden vorsah. Die Industrie hatte mit dem Abzug von 10.000 Arbeitsplätzen gedroht. Die Entscheidung sei ihnen „sehr, sehr schwer gefallen“, so die Grünen. Aber aus „Koalitionsraison“ habe es keine andere Möglichkeit gegeben. Übriggeblieben von dem zukunftsweisenden Verbot ist nicht viel mehr als die Vorschrift, daß in jedem PVC-Fenster und -Boden ein hoher Altmaterialanteil enthalten sein muß.
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