Sanssouci: Nachschlag
■ "Essiggurken"
Das Essen ist vorbei. Vor dem nachtblauen Vorhang künden zahlreiche Gedecke auf dem Boden vom kulinarischen Zeitvertreib einer Abendgesellschaft. Dann gibt der Vorhang den Blick frei auf die übrigen Plätze — auch sie sind leer. Das Diner ist abgegessen, nur Essiggurken sind übriggeblieben. Ihr diskreter Charme weist das süßsauer Eingelegte als bis zuletzt sorgsam Gemiedenes aus. Aus dem Dunkel taucht die Silhouette einer Gebliebenen auf. Die Einsame summt eine sehnsüchtige Melodie, eine Art atmosphärischer Monolog. So beginnt die Uraufführung des Ensemble Theaters im Stükke Theater am Südstern.
Die Schauspielerin Minu Ghedina legt hier ein Stück für SchauspielerInnen vor, das die Gefahr einer hoffnungslosen Hermetik birgt. Zwei neurotische Partner proben den Abschied von ihrer bisher gescheiterten Liebe. Die Trennung gelingt nicht. Statt dessen werden verschiedene Kategorien von Neuanfängen inszeniert, die aber alle ins Leere laufen, da die Neugier fehlt: Jeder degradiert den anderen zum eigenen Alter ego.
Die Akteure wirken überfordert, wenn es darum geht, die Wechsel zwischen inneren und äußeren Monologen zu spielen. Und auch wenn die Szenenführung auf den jeweils anderen Darsteller übergeht, muß das durch einen ostentativen und geräuschvollen Lichtwechsel angezeigt werden. Trotz des beachtlichen mimischen Repertoires von Claudia Wegner (der es noch eher gelingt, in einsamen Textpassagen ihre wechselhafte Figur emotional zu entwickeln), fällt die Beziehungs-Zerreißprobe durch. Typisierungen verhindern die tatsächliche Auseinandersetzung. Nur die Akkutaresse des computersteifen Mannes (Pedro Sobisch) bildet sporadisch eine erlösende Prise Arroganz im floppenden Flirt. Der Einakter weist durchaus interessante Auflockerungsmomente auf. Von den vier Rollen, die das Programmheft nennt, sind zwei nicht nominiert, sie werden fiktiv im Zuschauerraum angenommen und von den Darstellern frontal angespielt. Das wirkt seltsam normal und irritierend zugleich, sind es doch die einzigen konkreten Momente in einem Bühnendiskurs, der sonst nur von Hypothesen und Verweigerungen handelt. Gegen Ende erfahren wir, es war alles nur ein Spiel, ein Endspiel. Die Inflation der Anleihen beim irischen Vorbild Beckett wird mit diesem Stück vorangetrieben. Zu sklavisch ist die formale Präzision Becketts nachempfunden worden. Die minimalistische Reduktion, die seine Stücke kennzeichnen, sind im Grunde Ergebnisse und als Vorgaben unbrauchbar. Allerdings: Die Überbetonung des sinnbildhaften Gebrauchs von Requisiten, die Überbewertung der psychischen Alltagsrealität und der zyklische Handlungsverlauf skizzieren das Alltagsentsorgungsproblem der Jetztzeit recht unbequem und von daher gelungen. Verschlußsache: Essiggurken! Zu tief ins Glas geguckt bei zu geringem Lungenvolumen. Der Atem reicht nicht aus, der Beigeschmack stört. Stefan Wieszner
Bis zum 12.12., donnerstags bis sonntags 20.30 Uhr, Ensemble Theater im Stükke Theater, Hasenheide 54, Kreuzberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen