: Abstieg in verdrängte Gewölbe
■ Zwei Ausstellungen bringen Licht in die Eingeweide und den Verdauungstrakt der Stadt / Größenwahn aus Nazizeit und Bunker aus dem Kalten Krieg
Gleich zweifach werden Bilder aus der Unterwelt in Berlin ausgestellt: Während die Arbeitsgruppe Stadtfotografie der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst den Fotografen Robert Paris als Agenten zu ungenutzten U-Bahnhöfen, Bunkern und unterirdischen Zufahrten unter dem Olympiastadion und dem Flughafen Tempelhof geschickt hat, ist der Frankfurter Industrie-Fotograf Peter Seidel auf der Suche nach Orten im Verborgenen schon mehr als sechs Jahre quer durch die Bundesrepublik gereist.
Die Koinzidenz beider Bildrecherchen verrät eine gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber einem Thema, das nicht nur metaphorisch mit den Verdrängungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu tun hat.
Die Wanderausstellung „Unterwelten“ von Peter Seidel präsentiert das Kunstamt Wilmersdorf überflüssigerweise im zugigen Keller der Kommunalen Galerie, als ob die ans Licht geförderten Bilder nicht des Kryptischen genug ausstrahlten.
Mit dem tief in die Erde gemauerten Tauchbecken des jüdischen Kultbades der Mikwe und der reich ausgestatteten römischen Grabkammer beginnen Seidels Expeditionen durch die Universal- Geschichte des unter der Erdoberfläche Geborgenen.
Die prächtigen Gewölbeschluchten der Wasserwerke aus dem 19. Jahrhundert und die stählerne Tresorkammer einer Bank führen in die Eingeweide der Städte und den Verdauungstrakt der Geldzirkulation.
Die Bilder aus mittelalterlichen Kasematten und aus dem ehemaligen Zentralen Kommandobunker des Nationalen Verteidigungsrates der DDR liefern weitere Belege für eine Geschichte, in der die physikalische Tatsache, daß das unter der Erdoberfläche Liegende vor Angriffen geschützt ist, dem psychischen Bedürfnis der Verdrängung Vorschub leistet.
Aber die visuelle Aufklärung über das kollektiv Versenkte birgt in sich ein Paradox: Die unterirdische Fotografie bringt dorthin Licht und Sichtbarkeit, wo gerade die Dunkelheit die anderen als die Augensinne mobilisiert.
Da die Architekturen unter der Erde nur aus Innenwelten bestehen, verwehren sie den Überblick von außen und verwirren die Orientierung. Der visuellen Kontrolle entzogen zu sein, dient der Macht der Mythisierung, die somit zu einem weiteren Instrument der Ausschließung wird. Um diesen emotionalen Faktor, der gerade die Wirksamkeit des Verbergens ausmacht, sind die Fotografien Seidels verkürzt.
Gegen die Politik der mystischen Versiegelung treten die schwarzweißen Fotografien von Robert Paris an: Mit der optischen Erschließung des unterirdischen Stadtraums sollen sowohl seine Geschichte als auch seine Potentiale für die Zukunft diskutierbar werden, statt ungesehen zu verrotten.
Wie würden diese Bauten und die Möglichkeiten einer Nutzung wohl die Imagination der Bevölkerung beschäftigen, lägen sie nicht unter Tage, fragte Eberhard Elfert von der Neuen Galerie Bildender Künste (NGBK) in seiner Eröffnungsrede.
Nicht zuletzt geht es um die Sichtbarmachung dessen, was eine größenwahnsinnige Stadtplanung an Produktiv- und Arbeitskraft verschluckt hat. In bis zu zehn Minuten langen Belichtungszeiten fing Robert Paris das Abbild einer scheinbar stillstehenden Zeit ein: Wenig scheint sich auf den ungenutzten Tunnelstrecken und Bahnsteigen der U-Bahn Linie 8 getan zu haben, deren Bau in den zwanziger Jahren zunächst wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten eingestellt wurde und die später einen anderen als vorher geplanten Verlauf nahm.
Unter dem Potsdamer Platz bewahren zugemauerte Treppen noch heute den Eindruck eines Bahnhofes, der in den dreißiger Jahren als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme begonnen und nach dem Mauerbau geschlossen wurde. Auf die Pläne der Nationalsozialisten für den Umbau von Berlin als Reichshauptstadt „Germania“ geht auch das System der Straßen, Gleise, Arkaden und überwölbten Hallen unter dem Flughafen Tempelhof zurück. Selbst der Umbau eines für die U-Bahn geplanten Tunnels unter dem Alexanderplatz zum Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg und die Ausweitung von U-Bahnhöfen zu Zivilschutzräumen während des Kalten Krieges, wie am Siemensdamm, verweisen auf die faschistische Epoche der Geschichte Berlins.
In ihnen zeigt sich wie in der Aufrüstung der Krieg als größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Ihre Ausgrabung erfolgt nicht zufällig erst heute, wenige Jahre nach der Maueröffnung, die den Blick auf beidseitig Geheimgehaltenes erst zuläßt. Katrin Bettina Müller
Robert Paris, „Lichter aus dem Untergrund“, Galerie der NGBK Oranienstraße 25, bis 30. Januar 1994. Peter Seidel, „Unterwelten“, Keller des Hauses Hohenzollerndamm 174–176, bis 21. Januar 1994.
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