: Nur unter akutem Druck bewegt sich was
■ Direkt übertragbar auf andere Branchen ist das VW-Modell nach Meinung von Wirtschaftsforschern nicht
Mit der Einigung bei VW werden neue Räume für eine künftige Tarif- und Beschäftigungspolitik erschlossen, so die Meinung von Wirtschaftsforschern und Tarifexperten. „Zum ersten Mal verzichten in einer tariflichen Vereinbarung Arbeitnehmer auf Einkommen, um damit ganz konkret Arbeitsplätze zu retten“, betonte gestern der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel gegenüber der taz. Ebenfalls einmalig sei die Beschäftigungsgarantie für zwei Jahre – „ohne Zweifel ein großer Erfolg für die Gewerkschaft.“
Direkt übertragbar auf andere Unternehmen oder ganze Branchen sei das VW-Modell allerdings nicht, unterstrich Hickel. Der Grund: Zum einen stand das Unternehmen VW unter enormem Druck, Personalkapazitäten abzubauen. Zum andern erlaubt die sehr gute Bezahlung über Haustarif einen gewissen Spielraum bei Kürzungen. Erst der „akute Handlungsdruck“, unter dem das Unternehmen stand, ermöglichte eine solch unkonventionelle und vergleichsweise schnelle Lösung wie bei VW, so Hickel.
Ein Blick durch die Branchen zeigt, daß tatsächlich erst hoher Handlungsdruck den Mut – beziehungsweise die Notwendigkeit – neuer Lösungen erzeugt. Zum Beispiel im Bergbau: Hier fordert die IG Bergbau selbst eine Reduzierung der Arbeitszeit auf vier Tage und akzeptiert dabei den Lohnverzicht von zehn Prozent. Zu groß ist hier die Gefahr der drohenden Entlassung von Zehntausenden von Mitarbeitern. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) versucht auf leichtere Weise, den sozialverträglichen Personalabbau in ihren eigenen Reihen. Um dem Image abträgliche betriebsbedingte Entlassungen zumindest einzuschränken, wird hier auf freiwilliger Basis großzügig Teilzeitarbeit angeboten. Der Erfolg ist bislang gering.
Auch bei der Opel AG mußten Personalkosten reduziert werden. Der Zwang war aber nicht so groß, als daß sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf einen so weitreichenden Deal „Beschäftigungsgarantie gegen Lohnverzicht“ eingelassen hätten. Beschlossen wurde lediglich der Verzicht auf einen Teil der Lohnerhöhungen und die verzögerte Auszahlung von Weihnachtsgeld.
Dennoch, und das ist das wichtige am VW-Modell, werden Aspekte des neuen Beschäftigungsdeals in Tarifverhandlungen und Diskussionen über künftige Beschäftigungspolitik auch anderer Branchen einfließen. Sowohl die einmalige Beschäftigungsgarantie als auch der Lohnverzicht beim VW-Modell können dabei von den Tarifparteien gemäß ihren Interessen genutzt werden.
Für sozialen Frieden ist der Vorteil unübersehbar
„Die Arbeitgeber werden die Einigung als Beweis nehmen, daß Lohnverzicht in Krisenzeiten möglich und notwendig ist, daß die hohen Lohnkosten also schuld an der Krise sind“, befürchtet Hickel. Auch die Tatsache, daß bisher keine neuen Subventionen der Bundesanstalt für Arbeit eingeplant sind, dürfte von der Bundesregierung begrüßt werden. „Dies ist in meinen Augen ein Makel des VW-Modells“, so Hickel. Denn schließlich, so das häufig zitierte Argument von SPD und DGB, spare die Bundesanstalt für Arbeit ja auch Arbeitslosengeld, indem es nicht zu Entlassungen kommt.
Die Gewerkschaftsseite wiederum kann auf die einmalige Beschäftigungsgarantie bei VW verweisen. Wie berichtet, fordert die IG Metall für die kommenden Tarifverhandlungen ein Moratorium gegen Beschäftigungsabbau. Dieses Vorrangprinzip der Beschäftigungssicherung bei VW sei daher „besonders wertvoll“, freute sich das DGB-Vorstandsmitglied Michael Geuenich. Außerdem ist die Einigung der Beweis, daß radikale Arbeitszeitverkürzung Jobs rette, so betonte der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel. Die These der Arbeitgeber, daß längere Arbeitszeiten Beschäftigung sicherten, ist damit zumindest teilweise widerlegt.
Kein Wunder also, daß sich die Arbeitgeber mit positiven Statements bisher zurückhalten. „Die Viertagewoche bei VW ist nicht auf andere Unternehmen übertragbar“, hatte schon die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) zuvor geäußert. Vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall war während der wochenlangen Diskussion und auch gestern bezeichnenderweise kein offizielles Statement zum Thema Viertagewoche zu hören. Die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung bezeichnete die Einigung bei VW sogar als „Entscheidung gegen die Marktwirtschaft“.
Volkswirtschaftlich gesehen, ist das VW-Modell tatsächlich nur die weniger schlimme von zwei schlechten Alternativen, so räumen Wirtschaftsexperten ein. Bei einer Einkommensminderung von zehn Prozent dürfte der Netto-Effekt schwindender Steuereinnahmen und Sozialabgaben gerade mal „etwas günstiger“ ausfallen, als wenn ein großer Teil der Belegschaft entlassen würde und Arbeitslosengeld bezöge, erklärte der Wirtschaftsforscher Ronald Schettkat vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).
Für den sozialen Frieden aber ist der Vorteil des Modells unübersehbar: „Abgesehen von allen ökonomischen Kreisläufen ist es natürlich für eine solche Region die bessere Lösung, Arbeitsplätze zu halten als Tausende zu entlassen“, meint Schettkat. Auch wenn die Beschäftigten die neue Entwicklung vor allem als Notlösung empfinden, kann das VW-Modell Anstöße für ein Umdenken in kultureller und sozialer Hinsicht bieten, da sind sich Wirtschaftsforscher und grüne Politiker einig. Erstens müsse der Konzern in den folgenden zwei Jahren tatsächlich massiv an Produktverbesserungen arbeiten, „vielleicht auch neue alternative Fahrzeugmodelle entwickeln“, meint Hickel. Zweitens werde mit dem Modell die „Zuwachsideologie durchbrochen“. „Die Zukunft liegt in weniger Arbeit und weniger Lohn“, so der Bremer Wirtschaftsprofessor. Der Wertewandel dürfte durch das VW-Modell möglicherweise neue Schubkraft erhalten. Die Ironie aber dabei sei, betont Hickel, daß die Beschäftigten sich mit Sicherheit nicht als Vorreiter, sondern als Opfer eines Einsparkurses erlebten. Barbara Dribbusch
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