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Eitel Zwietracht um Knochen

In der Galerie „O zwei“ diskutiert man derzeit über die nächstjährige Fortsetzung der Prenzelberger Zweitwährungsanarchie mit anderen Mitteln  ■ Von Uwe Rada

„Noch ist kein Falschgeld aufgetaucht“, meint erleichtert Bert Papenfuß, Koautor der nunmehr in der dritten Woche gespielten Prenzelberger Knochenouvertüre. „Das liegt daran, daß wir den geplanten Bankraub schließlich doch verworfen haben“, kontert ein Hausbesetzer, der, selbst Künstler, das Knochenprojekt zwar nicht künstlerisch kritisieren will, „politisch und sozial“ aber doch.

Ist der „Knochen“, sind die von von 55 KünstlerInnen entworfenen Alternativscheine, mit denen rund um Kollwitzplatz und Oderberger Straße Bier, Schuhcreme und Bücher erstanden werden können, nun Kunst oder Geld? „Künstler machen Geld“ war zwar die Devise, doch alles hätte nur dann beim medial vermarktbaren Happening bleiben können, hätte man da nicht den Geist Silvio Gesells gerufen. Der nämlich war der geistige Vater der anarchistischen Schwundgeldtheorie, die zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise im österreichischen Kleinstädtchen Wörgl mit Erfolg der ökonomischen Praxis standhalten konnte.

Daß ein solches Projekt auf den Prenzlauer Berg mit immerhin 150.000 Einwohnern nicht ohne weiteres übertragbar sei und daß die derzeitige Knochenaktion „so wie sie ist“ nur um den Preis ihres wirtschaftlichen Untergangs ausgedehnt werden kann, darüber herrschte noch Einigkeit am vergangenen Mittwoch. Die Galerie „O zwei“ in der Oderberger Straße, Ort der Knochengeburt und „Dezentralbank“ zugleich, hatte die KritikerInnen des Knochenprojekts zur Grundsatzdiskussion geladen. In der Frage jedoch, ob und wie die politische und soziale Dimension des Schwundgelds in einem nächsten Projekt beim Wort genommen werden kann, herrschte eitel Zwietracht.

Gab der eine zu bedenken, daß man mit einem ausgedehnten Knochenkreislauf nicht zuletzt das Finanzamt betrügen könne, beharrte Klaus Schmitt, Gesellkenner und Buchautor, auf dem schieren Gegenteil: „Mit dem Schwundgeld“, so Schmitt, „seien die Wörgler Händler geradezu in die Lage versetzt worden, ihre Steuern zu zahlen und mithin die Gemeinde, wichtige Projekte wie den Straßenbau zu finanzieren.“ Das Wesentliche, so Schmitts Resümee, sei die „Zinsknechtschaft“ und mit ihr die Inflation, die es zu überwinden gelte. Wer heute immer noch nicht im Zins, sondern im Privateigentum an Produktionsmittel den Kern allen Übels sehe, ereiferte sich der Altanarchist, sei von vorgestern und im übrigen längst widerlegt.

Doch wer da händereibend und mit Schadenfreude im Nacken meint, im Prenzlauer Berg gehe es auch nicht anders zu als in Kreuzberg, freut sich zu früh. Zur nächsten Knochenrunde kommenden Mittwoch wird unter anderem die Initiative „Kauf im Kiez“ erwartet. Dann steht zu erwarten, daß die Theoriedebatte vom vergangenen Mittwoch zumindest für zwei Stunden vom Kopf auf die Beine gestellt wird.

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