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Happy-End für Ikarus

■ Regina Baumgarts „People in the Sun“ am Halleschen Ufer

Schnee klebt noch an unseren Schuhen, die Ohren sind eiskalt, den Mantel haben wir schon ausgezogen, doch den Schal lassen wir vorsichtshalber noch eine Weile an. Da zaubert uns ganz unerwartet ein abrupter Lichtwechsel mitten in einen warmen Sommernachmittag am Strand. So schön kann's nur im Theater zugehen. Jetzt sehen wir dort eine vornehme kleine Gesellschaft, von der wir uns vorstellen, sie säße am Strand und blickte schweigend aufs Meer. Denn entfernt hören wir Meeresrauschen, irgendwann später kommt noch das Kreischen von Strandvögeln und helles Kinderlachen dazu.

Nicht Gegenstände oder Requisiten sind es, die uns den leeren Bühnenraum real erscheinen lassen. In ihrer neuesten Tanz-Choreographie „People in the Sun“ läßt Regina Baumgart die Zauberkraft des Lichts und des Tons zum Einsatz kommen. Die Inszenierung ist aus acht szenischen Bildern aufgebaut – Bilder in einem doppelten Sinne: Als choreographische Vorlage verwendet Regina Baumgart in den meisten Szenen Bilder des amerikanischen Malers Edward Hopper, dessen Wiederentdeckung in den letzten Jahren auch an ihr nicht folgenlos vorübergegangen ist. Zu recht, denn der Charme von Hoppers Bildern beruht auf ihrer eigentümlich theatralischen Qualität.

Das, was an Hoppers Bildern so fesselt, ist das Rätsel, das seine Figuren uns aufgeben. Sie sitzen in Cafés, in leeren Zimmern, oder wie in dem Bild „Sea Watchers“ (1952) am Strand und starren meist merkwürdig abwesend irgendwohin. Es sind Schauplätze scheinbarer Ereignislosigkeit, doch nichts drängt sich bei Hopper mehr auf als die Frage, was sich zwischen den Figuren abspielt. Haben sich die beiden da nichts mehr zu sagen, langweilen sie sich vielleicht, ist Liebe oder gar Haß im Spiel? Hopper provoziert diese Fragen und läßt uns bei der Suche nach Antworten völlig allein.

Genau dieses geheimnisvolle Verhältnis von Nähe und Distanz, das die Figuren auf Hoppers Bildern immer zugleich zu Freunden und Fremden macht, setzt Regina Baumgart in wunderschöne Tanz- Bilder und Geschichten um. Hoppers Bilder werden zum Tanzen gebracht, und das ist für die erste Szene, die wir sehen, auch ganz wörtlich zu verstehen: Hoppers Bild „People in the sun“ (1969) tanzt von der linken Bühnenhälfte zur rechten leibhaftig hinüber.

Die tänzerische Umsetzung erlaubt dabei beides: Sie kann sowohl den befremdlich statischen Ausdruck der Hopperschen Bilder imitieren, indem sie die TänzerInnen aus ihrer Bewegung heraus immer wieder zurück ins Standbild bannt, als auch die Geschichte hinter den Bildern, zwischen den Figuren dramatisieren. In „Sea Watchers“ fangen die Möwen über dem Meer plötzlich zu fliegen an. Es sind gelungen choreographierte Flugversuche unbekümmert tanzender Vögel, die dann wie Ikarus unter der Sonne ins Meer hinabstürzen, doch gar nicht ertrinken, sondern fröhlich weiter auf den Wellen reiten. Zum Meeresrauschen hören wir in manchen Szenen noch ein paar Fetzen von Tom Waits und Eric Satie, Musik, die wie ein kurzer Windstoß an unseren Ohren vorbeisaust.

Regina Baumgart, die nun seit knapp zehn Jahren zum festen Bestand der Berliner Tanz-Theater- Szene gehört, bringt mit dieser Arbeit eine seltene Heiterkeit auf die Bühne, TänzerInnen in lustig gestreiften, kurzen Strandanzügen, die unbeschwert und leichtfüssig durch den Raum tanzen wie sonst nur Kinder am Badestrand. Andrea Kern

Weitere Aufführungen am 27. und 28./30.11. und 1.-5.12., jeweils 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer, Kreuzberg

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