: Der Pastor und der Terrorist
■ „Die Gewalt und ihr Preis“, eine Dokumentation, Sonntag um 21.15 Uhr bei N3
Als die Bundesanwaltschaft Ende August medienwirksam einen Rucksack aus Bad Kleinen aufschnürte, gestattete sie der staunenden Öffentlichkeit für einen kurzen Moment etwas, das sie seit gut zwei Jahrzehnten peinlichst vermeidet: den Blick darauf, daß auch „Terroristen“ Menschen sind, die auch Mütter haben und ihnen sogar gelegentlich Briefe schreiben.
Doch die Besitzerin des Rucksacks, Birgit Hogefeld, deren Korrespondenz mit Mutter Marianne nun als Beweismittel gegen sie ausgeschlachtet wird, ist dort, wo sie nach Meinung des Staatsschutzes hingehört: in Isolationshaft. Als Person ist sie damit aus der öffentlichen Vorstellung endgültig eliminiert, in Erinnerung bleibt nicht mehr das Kürzel RAF und ein häßliches Fahndungsfoto.
„RAF-Gefangene sind im Bild der Öffentlichkeit wie Comic-Figuren, ohne Vita, ohne Persönlichkeit“, sagt Werner Grave. Seine wenig bekannte Redaktion „Religion und Bildung“ im NDR schickt sich an, diesen Hohlbildern differenzierte Persönlichkeitsstudien entgegenzusetzen. Unter dem absichtsvoll vieldeutigen Titel „Die Gewalt und ihr Preis“ zeigt Grave am Sonntagabend einen Film von Thomas Crecelius, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen seinesgleichen sucht – obwohl der Beitrag nicht mehr und nicht weniger tut als das, was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen selbstverständlich sein sollte: die Menschen selbst sprechen lassen. Terroristen, Mütter und Ehefrauen, Gefängniswärter, Vollzugsangestellte und Prozeßbeobachter.
Unaufdringlicher Moderator, eher sogar Katalysator des Films, ist der holländische Priester Hubertus Janssen – der Gefängnisseelsorger. „Auch der Staat muß zugeben können, daß er Fehler gemacht hat“, sagt Janssen und verlangt schlicht, menschlich mit Menschen umzugehen: „Ich sympathisiere nicht mit Taten. Ich sympathisiere mit Menschen – die auch Taten begangen haben.“ Im Laufe der Jahre hat sich Janssen das Vertrauen und die Freundschaft von Manfred Grashof erworben. Der RAF-Mann der ersten Generation, nach 17 Jahren Haft inzwischen freigelassen, reflektiert sein bisheriges Leben – selbstkritisch, melancholisch und bisweilen sarkastisch, wenn er zum Beispiel aus dem Knast und von den Schikanen erzählt. „Das war ein gegenseitiges Hochschaukeln“, so Grashof, der sich als Wehrpflichtiger geweigert hatte, eine Waffe in die Hand zu nehmen, über die Beziehung zwischen der RAF und dem Staatsapparat. „Es hätte nicht sein müssen.“
Thomas Crecelius' Film, den er im Sommer dieses Jahres unter dem wachsamen Auge des Staatsschutzes drehte, kommt ohne Kommentar oder Einblendungen aus. Der Geschichte ohne stilistischen Hilfen zu folgen, ist ebenso ungewohnt wie die manchmal sehr raschen Schnittfolgen oder die Verzahnung von sachlichen Bildern mit den entrüsteten Berichten der Mütter. „Alles, was wir sprachen, wurde aufgeschrieben“, erinnert sich Marianne Hogefeld an das Treffen mit ihrer Tochter im Gefängnis. „Ich fragte, warum. Das sei normal, hieß es. Aber das kann doch nicht normal sein.“ Ulla Küspert
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