piwik no script img

Die Obszönität des Reichtums

Ein Sammelband befaßt sich mit der bessergestellten Million in der Bundesrepublik Deutschland  ■ Von Christian Rath

„Während das Statistische Bundesamt vor keiner Obstbaumzählung zurückschreckt, verschließt es sich schon seit Jahrzehnten der Aufklärung der Reichtumsverhältnisse in Deutschland.“ Darin muß man nicht allein politische Rücksichtnahme erblicken, meinen die AutorInnen des vom Politikwissenschaftler Ernst-Ulrich Huster (Bochum) herausgegebenen Sammelbandes „Reichtum in Deutschland“. Vielmehr, so glauben sie, fallen die Reichen in einer reichen Gesellschaft zwangsläufig weniger auf, weshalb Reichtum an sich daher auch kaum noch als politisches Thema taugte.

Reichtum ist relativ. Wer in der Bundesrepublik als arm gilt, würde in vielen Staaten der Erde als Krösus angesehen. Was also ist Reichtum? Huster schlägt vor, alle diejenigen als „reich“ zu bezeichnen, die über das Doppelte des durchschnittlichen (nach Personen gewichteten) Haushaltseinkommens verfügen können. Er knüpft dabei an die geläufige Definition von Armut an (50 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens). So gesehen können knapp eine Million Haushalte in der Bundesrepublik als reich bezeichnet werden. Die Grenze lag in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre (auf diese Zeit bezieht sich die Datengrundlage des Buches) bei rund 10.000 Mark verfügbarem Haushaltseinkommen pro Monat.

Am besten geht es natürlich denjenigen, deren Vermögen sich selbsttätig so stark vermehrt, daß es die Konsumtion noch übertrifft. Wie viele Bundesdeutsche zu diesem Klub der „Superreichen“ gehören, konnte aufgrund der mangelhaften Datenlage allerdings nicht erhellt werden. Klarere Verhältnisse herrschen bezüglich der Vermögensverteilung in der Bundesrepublik. So besitzen die zehn Prozent reichsten Haushalte rund 50 Prozent des bundesdeutschen Vermögens, die ärmere Hälfte der Bevölkerung muß sich dagegen mit 2,5 Prozent des Vermögens begnügen. Sich zu ihrem Reichtum bekennen, das wollen allerdings die wenigsten unserer wohlhabenden MitbürgerInnen – zumindest, wenn es um die Besteuerung ihrer Zinseinkommen geht. Für 1986 etwa weist die Deutsche Bundesbank bei den privaten Haushalten ein Geldvermögen von 1.800 Milliarden Mark nach, während nur rund ein Fünftel davon auch versteuert wurde. Bei soviel krimineller Energie dürfte mancher Ladendieb vor Neid erblassen.

Der aus insgesamt acht Beiträgen bestehende Sammelband enthält aber nicht nur Daten und Berechnungen. In den Blick gerät auch das „Geschlecht des Reichtums“, genauso wie gesellschaftliche Elite- und ökonomische Verteilungstheorien. Der als „Erlebnissoziologe“ bekannt gewordene Gerhard Schulze entwickelt schließlich eine gründliche und originelle „Soziologie des Wohlstands“. So vielschichtig die Herangehensweise des Sammelbandes ist, es bleiben wichtige Fragen offen. Da wird die gleichmäßige Einkommens- und Vermögensverteilung als „ethische Frage“ bezeichnet, ohne zugleich eine befriedigende Antwort darauf zu geben, worin denn eigentlich das sittlich „Gute“ einer gerechteren Einkommensverteilung bestünde: Ist es die bloße materielle Gleichheit aller Staatsangehörigen (auch auf insgesamt niedrigerem Niveau?), ist es die Möglichkeit, das umzuverteilende Vermögen für gesellschaftspolitische Ziele nutzen zu können (wie lange aber kann man von dieser Umverteilung zehren?) oder geht es um die Hoffnung auf eine positivere wirtschaftliche Entwicklung, die sich bewußt auf eine Stärkung der Massenkaufkraft stützt? Letzteres wird zwar von einigen der AutorInnen propagiert, doch gerade im volkswirtschaftlichen Theorienstreit bleibt die Auseinandersetzung eher einseitig und oberflächlich. Daß Länder mit hohem Umverteilungsvolumen „auch ökonomisch sehr erfolgreich“ seien, hätte gerade für die Gegenwart einer eindrücklichen Begründung bedurft. Schließlich befindet sich das umverteilungspolitische Musterland Schweden mitten in einem radikalen Kurswechsel. Auch das Problem der Internationalisierung von Kapitalflüssen und Unternehmensstrategien wird kaum mehr als gestreift. Wer Reichtum umverteilen will, muß ihn erst einmal im Lande halten.

Andere Lücken des Buches werden offen eingestanden. Insbesondere die Beschränkung des Themas auf den privaten Reichtum vernachlässigt die Bedeutung wirtschaftlicher Machtkonzentration für demokratische Gesellschaften. Es bleibt der Eindruck, daß ein letztlich eher mittelmäßiges Buch genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt gekommen ist. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise, in der eine steigende Zahl von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen mit individuell immer knapperen Transferleistungen auskommen muß, erhält Reichtum wieder die Obszönität zurück, die er in den „fetten Jahren“ bereits verloren hatte.

Ernst-Ulrich Huster (Hg.): „Reichtum in Deutschland. Der diskrete Charme der sozialen Distanz“. Campus, 1993, 217 Seiten, 39 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen