: Wie die Eisblumen
Bizarr, wenig ertragreich, vergänglich – EisschnelläuferInnen / Monique Garbrecht schützt auch Bronze beim Weltcup nicht vor Existenzangst ■ Aus Berlin Cornelia Heim
Endlich. 17 Uhr: Monique Garbrecht sitzt vor einem Teller warmer Suppe. Der Wettkampf ist gelaufen. Zu Mittag verdrückte sie eine Banane und nippte an einem Glas Tee. Es ist kalt im Sportforum Hohenschönhausen: minus drei Grad Celsius. Monique Garbrecht muß sich warm anziehen. Eine anstrengende Saison nahm ihren Lauf – erst deutsche Meisterschaften, dann der Auftakt des Weltcups, der sich bis Ende März hinziehen wird, Europameisterschaften im Januar und Olympische Spiele im Februar. Sofern es mit der Qualifikation klappen sollte. Bei der gebürtigen Potsdamerin hat es auf Anhieb geklappt. Sie wurde Dritte, 1,25 Sekunden hinter Bonnie Blair, dem Star aus US- Amerika. Und kann die Erbsensuppe genußvoll auslöffeln.
Ein Küßchen von der Freundin: „Toll biste jelaufen!“ – „Ick war total tot.“ – „Na, bist och schnell anjejangen.“ – „Ick kann doch die 1.000 Meter nicht verschlafen.“ Nee, kann sie nicht. Da hätte nicht nur Trainer Thomas Schubert was dagegen. Auch ihr Portemonnaie. Leistung ist Geld. Und die Scheine liegen auf dem Eis nicht wie auf dem Tennisplatz. EisschnelläuferInnen sind ein bißchen wie Eisblumen. Bizarr, und der Ruhm ist vergänglich. Monique Garbrecht lebt in der Plattenbausiedlung in Berlin-Marzahn von der Sportförderung. Läuft sie zu langsam, fliegt sie aus dem A-Kader. Kein Erfolg, keine Knete – so einfach ist das.
Es verlieren sich wenige ZuschauerInnen in der Halle. Obwohl nahezu die gesamte Weltspitze am Start ist: Einige Olympiasieger unter den 220 Kufenflitzern aus 23 Ländern. Schnell, aber einsam drehte Monique Garbrecht ihre Runden. „Ich bin zur Einzelkämpferin geworden. Das wird man bei den Bedingungen“, sagt sie ohne Verbitterung und füllt ihren ausgepowerten Energiespeichern mit Schokoriegel. Die Wiedervereinigung bescherte den Ostsportlern ein vorher nie gehörtes Wort – Rationalisierung. Die Folgen: Aus 108 Goldschmieden zu DDR-Zeiten (drei Trainer waren es in der Bundesrepublik) wurden insgesamt 25.
Monique Garbrecht zerdrückt eine Erbse, weint aber nicht alten Zeiten hinterher: „Och, die Wende – das ist so lange her.“ Sie hat sich damit abgefunden, daß selbst olympische Bronze 1992 keine Dukaten aufs Eis zaubert: „Ich komme zurecht.“ Im Kraftraum fehlen die Hanteln, die Eishalle ist so kalt wie keine andere, weil irgend etwas mit der Klimaanlage nicht stimmt. Die Trainingsgruppe existiert nur auf dem Papier, weil jede aus dem Team alleine trainiert: „Die meisten müssen sich was dazu verdienen.“ Monique Garbrecht denkt pragmatisch: „Es ist nun mal so.“ Wenn sie Mehrkampf-Bundestrainerin Gabriele Fuß erzählen hört, sie müsse 182 Tage im Jahr von Mann und Sohn getrennt auf Achse sein, nur, weil der Sport in Erfurt nicht mehr erste Priorität genießt; es keine Wettkampfbahn gibt, aber über 30 Prozent Arbeitslose; daß Eltern Farbe für Schulen spenden, damit die Klassenzimmer nicht aussehen wie ein schimmliges Kellergewölbe. Ja und? Monique Garbrecht zuckt mit den Achseln: „Die sind doch immer noch gut genug!“ Und denkt an die Erfolge einer Gunda Niemann, die mittlerweile, so sagt ihre Trainerin, „ganz ordentlich von Sponsoren leben kann.“
Auf dem Eis ist Kunst, Tanz oder Hockey gefragt. Aber Laufen? Was passiert da schon? Nichts. Außer Sport pur. Die Schlittschuhe kratzen auf der Bahn, lautlos scheinen die beiden Konkurrentinnen auf ihrer Treibjagd dahinzugleiten, rhythmisch wie eine Pendeluhr schwingt der rechte Arm den Takt. In den hauchdünnen und hautengen Strampelanzügen verliert sich die Identität der Sportlerinnen. Froschmänner auf Eis. Lediglich die Farbe ihrer Berufskleidung gibt wenigstens Aufschluß über ihre Herkunft. Es ist kalt.
Monique Garbrecht trainiert in der Regel sechs Stunden. Täglich. Für wen? Eisschnellauf ist nichts fürs Auge. Wenn 18 Pärchen die immergleichen Kreise ziehen, hat das etwas von der Monotonie einer Plattennadel, die nur in einer Rille zu laufen vermag. Da! – der Zielstrich. Endlich! Die Wirbelsäule, die sich eineinviertel Minuten lang als rechter Winkel zu den Beinen erniedrigen mußte, probiert vorsichtig den aufrechten Stand. Und fällt sofort wieder auf die Knie, erschöpft. Der Atem rast – in kurzen Dampf-Stößen aus der Lunge. Die Kapuze fliegt vom Kopf. Blonde Locken schütteln sich ihren Weg ins Freie. Die Füße verweigern die Arbeit und dennoch rollen sie, getragen vom Schub der letzten Anstrengung noch ein Stückchen unvermindert weiter.
Die 25jährige will nicht mehr laufen. Schluß ist im April. „Ick muß doch och an meene Zukunft denken“, sagt sie. Und wie, um sich selbst keine Ausflüchte zu ermöglichen, noch einmal: „Egal wie gut oder schlecht Lillehammer ausgeht, danach ist Schluß!“ In der DDR hätte sie keine Existenzängste gehabt. Aber nun? Werbekauffrau wird sie lernen. „Bleibt der Erfolg aus, bin ich von heute auf morgen ein Sozialfall.“
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