: Ich bin für Recht und Gesetz
Ansichten eines jungen Mannes zum Schußwaffengebrauch ■ Von Gabriele Goettle
Tief in Sachsen, dort, wo zu Anfang des Jahrhunderts Baumwollspinnereien, Tuchwebereien, Seilereien und Maschinenbaufabriken wie Pilze aus dem Boden wuchsen, wo der Kapitalist seinen Profit und der Arbeiter seinen Lohn nach Hause trugen, sitzt zum Ende des Jahrhunderts ein junger Arbeitsloser am Stausee und angelt. Laub treibt im Wasser vorbei, es regnet, kaum spürbar. Früher entnahm die umliegende Textilindustrie ihr Brauchwasser aus diesem See, seit der Schließung 1991/92 erholen sich Wasser- und Fischbestand.
Haken und Köder fliegen dahin, reibungslos surrend rollt sich die Angelschnur ab. Der Angler versenkt die Rute im Köcher, zündet sich eine Zigarette an und schlägt den Kragen hoch. „Sowas gabs natürlich bei uns nicht“, sagt er und tippt auf die Angel, „aber sonst ... ich bin arbeitslos, fast alle hier in der Gegend sind arbeitslos, sowas gabs bei uns auch nicht! Seit vier Jahren geht nichts weiter. Zweimal hab ich meinen Antrag auf Arbeitslosengeld hier abgegeben, zweimal haben sie ihn verschludert. Das dritte Mal hab ich ihn selbst aufs Amt gebracht. Zwei Monate nichts, kein Geld. Das kümmert keinen. Dann kam was, das war aber falsch berechnet, und jetzt bearbeiten sies immer noch. Genauso ist es mit dem Wohngeldantrag. Das dauert Monate. Wenn jemand die Miete nicht zahlen kann derweil, sieht er schnell schlecht aus. Und dann dieses Papier und jenes, man braucht eine Bescheinigung von der Polizei, das liegt ja alles entgegengesetzt. Da haben Sie lange Wege und Wartezeiten, leicht vergeht ein Tag für so ein Stück Papier, und das nur, damit es in die Akte gelegt werden kann. Sowas ist doch Wahnsinn. Und wissen Sie was, das können Sie ruhig mal schreiben, auf dem Arbeitsamt und überall, da sitzen die alten Genossen drin. Die haben ihren Arsch ins trockene gebracht, und uns lassen sie antreten mit Unterlagen. Die gehören alle an die Wand gestellt. Meine Meinung!
Ich mache ja jetzt Umschulung. Geh ansich jeden Tag auf Arbeit, so gesehen, aber Lohn gibts nicht, mein bißchen Geld zahlt das Arbeitsamt. Das Benzin geht ab, Strom, Zigaretten, mal ein Bier, schon ist man pleite. Ich wohn ja zum Glück noch bei den Eltern. Aber viel haben die auch nicht. Der Vater ist im Vorruhestand und hat Ärger wegen Arbeitsstunden, die er nicht nachweisen kann. Hat bei Bauern gearbeitet, früher mal, die existieren nicht mehr, wie soll ers da nachweisen? Der Mutter fehlen auch Zeiten, in denen sie zu Hause war, das gilt ja nicht.
Jetzt schule ich um auf Klempner. Gelernt hab ich an sich Koch. Das war auch schon nichts, die Großküche hat zugemacht damals nach der Wende, dann habe ich umgelernt auf Kesselwärter, aber die Bude ham sie auch geschlossen. Ich habe sogar eine Zeitlang gearbeitet als selbständiger Unternehmer für eine westdeutsche Speditionsfirma. Das waren vielleicht Verbrecher, die lebten nur davon, anderen Leuten betrügerisch das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das ging so: Ich kaufe von denen einen Transporter mit Hänger. Dafür nehme ich einen Kredit auf von 46.000 DM, und meine Eltern bürgen für mich mit ihrem Häuschen bei der Bank. Mit diesem Transporter sollte ich also Speditionsaufträge ausführen, die Firma hatte sich vertraglich vepflichtet, mir solche Aufträge zu beschaffen. Ich hab auch welche bekommen, aber fragen Sie nicht .... die warn so schlecht bezahlt, daß es grade mal für die Unkosten gereicht hat. Ein paarmal kam ich irgendwo an, da war der Auftrag schon weg und sie sagten: ,Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!‘ Da hatten die also den Auftrag mehrfach vergeben. Bis nach Hamburg rauf bin ich gefahren, ohne daß dort ein Auftrag war. Das möchte leicht sein, daß man da einen Haß empfindet. Mit uns Ossis kann mans ja machen.
Na und nun wollte die Bank natürlich ihr Geld haben von mir und ich hatte keins. Also wollte ich das Auto zurückgeben an die Firma, aber die sagten nur: ,Guter Mann, so läuft das bei uns nicht, wir sind doch kein Gebrauchtwagenhandel.‘ Dann hab ich mit jemand Privatem, von uns hier, einen Überlassungsvertrag gemacht, der konnte dann aber auch nicht zahlen, weil er gleich pleite ging, der Kredit war auch noch nicht überschrieben, also is der Wagen weg, das Geld ist weg, und den Kredit habe ich am Halse. 50.000 Mark Schulden. Die Bank hat mirs erst mal gestundet. Und das alles, weil ich damals zu dieser Veranstaltung gegangen bin. Die machen das nämlich so bei dieser Firma. Sie bieten auf Werbeveranstaltungen diese angeblich einmalige Chance an, für wenig Einsatz selbständiger Unternehmer zu werden. Das eigentliche Geschäft aber machen sie mit dem Verkauf der Transporter. Sie verkaufen die Fahrzeuge teilweise bis 10.000 Mark über Wert und sagen, da ist die Vermittlung der Speditionsaufträge gleich mit drin. Wer soll denn da drauf kommen, daß man Ihnen nur einen Transporter und einen Hänger andrehen will? Mir sagten sie damals noch ganz freundlich: ,Für Sie haben wir eine Strecke Rostock– München aufgebaut, und zwischendurch können Sie auch mal nach Mailand runter, günstig wärs, wenn Sie gleich anfangen könnten, sonst springen uns die Kunden ab.‘ Ja, wer würde da zögern? Für eine kurze Zeit bin ich also selbständiger Unternehmer gewesen mit einem Fuhrgeschäft. Wie das klingt!
Ich bin dann zum Sozialamt, jetzt war ich ja Bettler, und habe die Sache geschildert. Aber das interessiert ja keinen, ob man ein Opfer von Betrügern ist ... im Gegenteil, mich selbst betrachtet man mit Mißtrauen. Wenn noch Eltern nachweisbar sind, muß man denen ihr Sparbuch mitbringen. Aber den Ausländern stecken sies hinten und vorne rein! Ich will Ihnen mal was sagen, die Gesetze in Deutschland müssen geändert werden! Ich bin für Recht und Gesetz, aber es soll sein wie in Amerika. Jeder Bürger soll sich selbst mit einer Waffe schützen. Die Waffen werden registriert, und wer einen Mord damit begeht, Todesstrafe! Genauso für Vergewaltigung. Dann funktioniert das. Guckense mal, wenn hier beispielsweise ein paar Jungs Randale machen oder Autos aufbrechen, dann nimmt die Polizei sie vielleicht fest für ne halbe Stunde, dann läßt man sie wieder laufen. Sowas kam doch in den Jugendwerkhof früher. Es gibt keine Ruhe und Ordnung mehr seit der Wende.
Wenn ich hier beispielsweise im Auto schlafe nachts und es kommen welche und schlagen mir die Scheibe ein, bedrohen mich, wenn ich auf die schieße, sperrt man mich ein wegen unerlaubtem Waffenbesitz, Mordversuch, was weiß ich. Genauso mit dem Grundstück, was nutzt mir denn ein Grundstück – ich mach nen Zaun drum, alles – kommt einer, steigt da drüber, bricht sich was, dann bin ich haftbar zu machen. Oder zu Hause, wenn ich meine ganze Wohnung unter Starkstrom setzte, dann ist das auch verboten, kommt ein Einbrecher da zu Schaden, dann bin ich dran.
Aber die Großen aus dem Westen, z.B. der ,Massa-Markt‘, die kommen her, stellen einen riesigen Supermarkt aus Blech auf die grüne Wiese, lassen die Verkäuferinnen und Lagerarbeiter für ein Butterbrot für sich schuften, machen ein paar Monate lang Kasse, bauen ab und verkrümeln sich wieder, das ist erlaubt?! Oder mein Betrieb jetzt, da kriegt er 21.000 Mark, nur dafür, daß er mich umschult. Demnächst soll ich nun drüben im Westen arbeiten, angeblich weil sie hier nicht die richtigen Maschinen haben, die Wahrheit aber ist, sie setzen uns drüben als billige Arbeitskräfte ein, verkaufen uns, wir machen für die die Arbeit, und sie kassieren für jeden von uns erst mal die 21.000 Mark vom Arbeitsamt ab, und dann noch drüben vom Auftraggeber. Löhne sehn wir keine, wir kriegen unser Geld vom Arbeitsamt. Ist das in Ordnung? Finden Sie sowas gerecht? Aber wenn ich fünf Minuten zu spät zur Arbeit komme, dann sagen sie: ,Mein Junge, die alten Zeiten sind vorbei, wenn du nicht arbeiten willst oder nicht kannst, bitteschön, vor meiner Tür stehn sie Schlange, den nächstbesten Mann brauch ich mir nur nehmen!‘ Da kommt Verbitterung auf, das können Sie vielleicht verstehen. Wenn Sie dann noch in die Kantine reinkommen und für Viermarkfünfzig einen Teller Spaghetti ohne alles kaufen sollen, dann explodieren Sie regelrecht, da könnte ich dann schon eine Schußwaffe ziehen und wumm ... den Pächter, die Küchenfrauen, den Vorarbeiter, die Kollegen ... Da kann jeder seine Wucherpreise machen wie er will, und alle machen mit. Die kochen den Dreck zusammen, die servieren ihn, wir fressen ihn!
Oder auch draußen, da gibts Ortschaften, die sind am Arsch der Welt. Da hatten sie früher ihren kleinen HO-Laden, alles. Davon ist nichts mehr übrig heute, nu fahrn sie mit solchen Verkaufswagen herum jetze, zweimal die Woche. Die verlangen Höchstpreise für den letzten Mist, weil sie genau wissen, es sind nur noch die Alten dorten, die haben kein Fahrzeug, haben ihre Renten gespart und müssen das Zeug kaufen. Ist das in Ordnung, soll das Recht sein?
Die stecken alle unter einer Decke, Beispiel: der Autohandel und der TÜV. Plötzlich werden rundum Mängel an Trabbis beanstandet, die allesamt sehr teuer sind. Man soll nun überlegen, daß es besser ist, das Geld nu lieber gleich in einen Neuwagen zu stecken, dabei, bedenken Sie mal, wie lang meine Eltern ham warten müssen auf das Fahrzeug, und der ist ja absolut noch wie neu. Aber nee, sie wollen nur die Trabbis von der Straße haben, weils angeblich solche Dreckschleudern sind.
Aber um die wichtigen Sachen, da kümmern sie sich nicht, wie beispielsweise ums Altöl, das in die Landschaft gekippt wird. Das kann ich Ihnen zeigen, ich führ Sie hin, die Grube ist randvoll, bis obenhin. Stammt alles von Minol. Die dachten wohl, es liegt so versteckt, daß ihnen niemand drauf kommt. Wenns mal tüchtig regnet, dann läuft das Zeug die Wiese runter, und nicht weit davon liegt ein Tiefenbrunnen im Wald, von dem Trinkwaser entnommen wird. Sie ham jetzt Stacheldraht drum gemacht, aber wenn man einen Stein hinten reinschmeißt, ist zu sehen, wies hochspritzt. Fässer haben sie auch draufgemacht, die sind mit Ketten verbunden. Das soll verhindern, daß die ganzen Zugvögel, die nach Süden fliegen, Gänse, Wildenten und sowas, da nich landen. Was da vorher Viecher ersoffen sind, können Sie sich vorstellen. Weil von der Luft her sieht man ja
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Fortsetzung
nichts, das Wasser schwimmt ja auf dem Öl obendrauf, und wenn Sie da landen, dann isses schon zu spät, das kriegen Sie nie mehr aus dem Gefieder ... Aber darum kümmern sich jetzt ganz aktiv die Umweltschützer. Nur, die Verantwortlichen, die müssen sich keinen Kopf machen, bestraft wird von denen keiner.
Sowas gabs bei uns früher nicht, höchstens bei den Russen, was man so hört. Überhaupt hat sich alles vollkommen geändert. Auch die Leute haben sich verändert, niemand ist mehr so wie früher. Das merkt man sogar am Zeltplatz vorne. Da haben welche den ganzen Sommer über nebeneinander gesessen und haben sich nichts mehr zu sagen gehabt. Früher hat man sie den ganzen Tag miteinander quatschen sehen. Da gibts ja Leute, die haben seit Jahren einen fixen Stellplatz für ihren Wohnwagen oder ihr Zelt, kommen teilweise jetzt noch am Wochenende, aber sie haben sich verändert. Die, die Geld haben, erkennt man heute gleich an ihrem Verhalten. Jetze denkt jeder nur noch an sein eigenes Wohlergehen und mittlerweile ... ei, da hat doch einer angebissen, nee sowas!“ ruft der junge Mann und kurbelt wie wild, um die Beute schnellstens an Land zu holen. Und schon liegt ein glänzender Fisch mit bebenden Kiemen in seiner Hand. Im aufgerissenen Maul windet sich der Köderwurm am Haken. Mit einer plötzlichen, schnellenden Bewegung versucht das Tier vergeblich der Hand zu entgleiten, dann scheint es zu kapitulieren. Die roten Augen und Flossen bleiben reglos, als der Angler grob den Widerhaken aus dem Fischmund dreht.
„Das ist eine Plötze, oder man sagt auch Rotauge“, erklärt der junge Mann und wirft den Fisch in den wassergefüllten Plastikkanister. Während er einen zappelnden Regenwurm wie einen Strumpf über den Angelhaken zieht, spricht er ruhig weiter: „Ich habe mich nu ja auch zurückgezogen, bin fast jedes Wochenende hier draußen und habe meinen Frieden. Was sich da oft bei uns abspielt Samstag–Sonntag, das ist ganz schön kraß. Wir haben bei uns ja nun auch diese Glatzköpfe rumrennen mit der Bierbüchse in der Hand. Das sind doch Verbrecher, wie die sich aufführen. Gut, ich bin auch nicht dafür, daß die ganzen Ausländer hier in Deutschland rumhopsen, aber deshalb kann ich doch nicht hingehn und die Telefonzellen in Brand stecken oder in die Kaufhalle einbrechen! Früher wärs doch gleich abgegangen mit denen auf die Wache, aber heute schleicht sich der ehemalige Parteisekretär durch den Hintereingang in sein Haus. Und die Polizei? Fehlanzeige! Die steckt den Kopf in den Sand. Man läßt die lieber in Ruhe randalieren, so lange, bis niemand denen mehr Einhalt gebieten kann. Mit mir nich! Ich hab mir ne Wumme besorgt. Ich bin für den Schußwaffengebrauch in der eigenen Wohnung. Wenn sich die Bürger bewaffnen könnten gegen diese Banden von Rechten, Linken und Ausländern, dann hätten wir schelll wieder unsern Frieden in unserem Lande.“
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