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Konflikt um Kölner „Klagemauer“ spitzt sich zu

■ „Schmuddelecke“ vor dem Dom wurmt den Klerus und die städtischen Gemüter

Köln (taz) – Der Wind pfeift mit Eiseskälte über die Domplatte, dem Herzstück Kölns. Fast droht die kahle Plattenmeile im Schatten des Doms in winterlich kalter Graulandschaft zu versinken, wären da nicht wohl etwa tausend bunte Papptäfelchen mit Friedenswünschen aus aller Welt, säuberlich an Schnüren aufgehängt, in Plastikfolie eingepackt. Botschaften mit krakeliger Kinderhand geschrieben – „Es soll keinen Krieg mehr geben“ – hängen neben Mahnungen und Lebensweisenheiten, wie dem ukrainischen Sprichwort „Wenn die Fahnen flattern, sitzt der Verstand in der Trompete.“ Auch der französische Obdachlosenprediger Abbé Pierre und Kazuo Soda, Überlebender des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, bereicherten das „Mahnmal für den Frieden“. Neben der mittlerweile weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Kölner „Klagemauer“ sitzt in einem kleinen selbstgebastelten Bretterverschlag Walter Herrmann, obdachloser Ex-Lehrer und Initiator der Mauer aus Pappe. Trotz Eiseskälte und beißendem Wind schneidet er die 20 mal 30 Zentimeter langen Pappstücke zurecht und hüllt bereits ausgefüllte Tafeln in Folie ein. „Die Kälte macht mir nichts aus, daran habe ich mich gewöhnt“, sagt der 54jährige, der zusammen mit anderen Obdachlosen die „Klagemauer“ bewacht.

Bisher hat das Kunstwerk in seiner fast dreijährigen Geschichte alle Stürme und selbst die Attacken einiger Rechtsradikaler überlebt. Erst vor sechs Wochen hat Walter – so nennen ihn die Umstehenden – bei einem nächtlichen Angriff ein blaues Auge einstecken müssen. Ein eiskalter Wind hingegen bläst ihm und seinen Freunden aus dem Rathaus und dem Generalvikariat entgegen. „Die Mauer muß weg“, so zumindest sieht es der Klerus schon lange und erhält nun auch Unterstützung aus den Reihen der Ratsparteien, die Grünen ausgenommen. Die „Klagemauer“ sei zu einer „Schmuddelecke“ verkommen, die das Symbol des Doms mißbrauche, meint Dombaumeister Arnold Wolff. Daß sich Walter Herrmann direkt neben dem Hauptportal am Südturm eingenistet hat und auch noch unter der Anschrift „Domkloster 4“ Zuschriften aus aller Welt erhält, wurmt das Domkapitel besonders. Zum Teil bedanken sich Menschen unter dieser Adresse sogar beim Kardinal persönlich für „die segensreiche Einrichtung“, wie es eine 80jährige ehemalige Kölnerin nannte, die im Dritten Reich vor dem Dom gegen die Hitlerjugend demonstrierte. Gegen die vermeintliche „Schmuddelecke“ können Kirche und Stadt nur in gemeinsamer Allianz vorgehen, denn das Hausrecht der Kirchenherren reicht nur bis zwei Meter vor den Dom. Stadtdirektor Heinz Ludger Uhlenküken äußerte entgegen den Solidaritätsbekundungen einiger Kirchengemeinden und Kölner Künstler die Absicht, den Betreibern der „Klagemauer“ noch in diesem Jahr eine Frist zum Abbau zu setzen. Walter Herrmann sieht einer möglichen Räumung gelassen entgegen: „Die sollen ruhig räumen, das Aufbauen übernehmen wir.“ Das Büro des CDU-Bürgermeisters Harry Blum teilte auf Anfrage mit, daß man gar nicht gegen die politische Aussage sei, sondern gegen den Standort und im Einvernehmen mit der SPD die Pappmauer an einen anderen sinnvollen Platz verlagern wolle. „An dieser Stelle kann die Mauer auf keinen Fall bleiben.“ Walter Herrmann lehnt einen Umzug an einen „sinnvolleren Ort“ kategorisch ab: „Wir können uns verändern, aber die Mahnwache muß hier bleiben.“

Die Mauer wankt. Fast symbolisch erscheint der Konflikt zwischen „Tafeln weich und brüchig wie die Menschheitsziele“, so die Formulierung eines Leserbriefes an eine Kölner Zeitung, und der „Umgebung aus Stein und Beton, hart, schwer und riesig als übermächtig erscheinende Realität“. Stephan Hille

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