: Unterm Strich
Wir wissen zwar nicht, ob ihr Kirchenfürst als angehender Cyberpunk wirklich die Techno-Bibel für den Gabentisch empfiehlt, zumindest aber derzeit ebenfalls mächtig angesagt ist Sakro-Pop aus Brasilien. Die erweckten Bands nennen sich „Heilige Frucht“, „Weißes Kreuz“ oder schlicht und ergreifend „Jerusalem“, gängige Themen in dem bislang unbeachteten Genre der weltlichen Musik sind die Lobpreisung Gottes, die Rückkehr Jesu Christi und überhaupt das Himmelreich auf Erden. Noch nehmen die brasilianischen Medien davon allerdings kaum Notiz, und die „Heiligen Früchte“ bleiben trotz wildwachsender ultrakatholischer Sekten erst mal Independent-Zwerge.
Der Mann, der Lucky Luke schneller als seinen Schatten schießen ließ, wird morgen 70 Jahre alt: Seit 1946 gehört die Zeichentrickfigur des Belgiers Morris alias Maurice de Bevere zu den populärsten Figuren der Comicwelt. Zunächst nur aus der Ferne Europas als lonesome cowboy in die Neue Welt projiziert, machte sich Morris 1948 selbst auf den Weg nach Amerika, um seine Figuren nicht wie bei Karl May allein aus der Einbildungskraft zu schöpfen. Der Westen wurde noch wilder: Sechs Jahre lang zeichnete und fotografierte der rastlose Belgier amerikanische Städte, Dörfer, Saloons, Kostüme, Waffen und Knastbrüder. Für die Leinwandfassung war der schlaksige Revolverheld allerdings redigierbedürftig: Morris mußte dem glücklichen Luke die Luckies abgewöhnen, weil die Zeichentrickfilme sonst nicht in den USA hätten gezeigt werden dürfen. Immerhin erhielt er dafür die Ehrenmedaille der Weltgesundheitsorganisation. Der echte Marlboro-Mann starb übrigens nicht im Sattel, sondern an Krebs.
Auch für Wolfgang Amadeus Mozart brechen 202 Jahre nach seinem Tode harte Zeiten an: Seine „Zauberflöte“ wurde im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg dekonstruiert. Statt der lustig tirilierten Irrungen und Wirrungen um den lebenslustigen Papageno oder die liebesgeständige Prinzessin Tamina blieb in der von Herbert Wernicke inszenierten Persiflage nur eine einsame Hosenrolle über. Christoph Homberger muß nun unter Aufbietung aller möglichen geschauspielerten Travestien im Alleingang die Geschichte erzählen, singen und spielen.
Auch der libysche Staatschef Muammar el-Gaddafi kann sich nicht so recht entscheiden, wer im Islam die Hosen anhat und wer statt dessen den Schleier tragen soll. Zwar distanzierte er sich von dem iranischen Aufruf zur Ermordung des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie, forderte aber davon ungerührt die Vernichtung des Buches „Die satanischen Verse“, daß aufgrund seiner permanenten Abwesenheit im Buchhandel der arabischen Staaten bei gleichzeitiger, unentwegter Präsenz im mohammedanischen Diskurs fast schon zur heiligen Schrift des Islam mutiert sein könnte. Foucault sei Dank.
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