: Die Schlacke der Industriegesellschaft
Selbstgefällige Ruhrpott-Nostalgie: Eberhard Bosslet und Lawrence Gipe im Düsseldorfer Kunstverein ■ Von Jochen Becker
Die Arbeiten von Eberhard Bosslet, Bildhauer aus Duisburg, und des Malers Lawrence Gipe aus New York vereint, daß sie „industrielle Ästhetik – die Materialität und Funktionalität von Technik – in ihre Arbeit einbeziehen“: Bosslet verwendet massenproduzierte Fertigteile wie Rohre, Gasflaschen und Gullideckel, paßt mittels druckluftgefüllter Gummikissen vertikale Raumstützen oder horizontale Rollgitter zwischen Wände ein oder verbindet Schläuche mit Schnellverschlüssen zu darmartigen Bodenplastiken. Gipe überträgt Fotos und Inserate von Maschinen und Fabriken der zwanziger und dreißiger Jahre mit Ölfarbe auf Holzplatten. In Schwarz, mit wenig Farbe und kontrastreichem Bildlicht malt er Werkshallen von Krupp, bombenartige Tankbehälter oder dampfende Lokomotiven, versieht die dramatischen Tafeln mit Slogans und Propagandasprüchen und fügt sie zu Dreiergruppen zusammen.
Durch den Kunstverein weht ein nostalgischer Hauch von Baumarkt und Postershop, Autowerkstatt, Schwarze Serie und Ruhrpott: ein Abstecher mehr im Düsseldorfer Kunstbesuchsprogramm. Dem Ausstellungsleiter ist dies nicht gut genug; schon rein äußerlich demonstriert das in braunes Leinen gebundene, mit goldgeprägtem Titel versehene „Katalogbuch“ die Ambitioniertheit der Veranstaltung. Das Nostalgische ist für Raimund Stecker aktuell, das manufakturartige Arbeiten der Künstler etwas Eigentliches und Ursprüngliches: „Nahezu nur noch die Kunst, beziehungsweise das ihr eingeschriebene Künstlertum, ist in der Lage, unserer diversifizierten Gesellschaft das Individuum zu retten, das eigenverantwortlich und unentfremdet produziert.“
„Kunstwerke“, so wird dem Leser und Besucher in bester „Aspekte“-Anmoderation bedeutet, öffnen die Augen, wenn sie erst einmal unserer ästhetischen Wahrnehmung überantwortet sind. Materialien und Funktionen, Ansichten und Prozesse gelten allein außerhalb des „industriell-funktionalen Verwertungszusammenhangs“ als Kunst. Steckers sonstiges Vokabular – Künstlertum, Rettung des Individuums, unentfremdet, rein und unschuldig, eben vom Verwertungszusammenhang entledigt – weist die Richtung: Das Heil liegt in der Kunst, die von jeglichen Lebenszusammenhängen gelöst zweckfreie und selbstgefällige Anschauung betreibt. Die Arbeiten von Bosslet benutzen zwar industriell Gefertigtes, und sind laut Stecker doch „konkret nur das, was sie sind als das, was sie sind“. Alles wird „gewissermaßen ,unschuldig‘ geschaut und verwendet“ – so als würde das Betrachten der Produkte den Menschen von der Schlacke der Industriegesellschaft entlasten können.
Hinter der Nebelwand des Offensichtlichen einer „reinen“ Anschauung bleibt zurück, daß Eberhard Bosslets Gummibälge im Alltag als Dichtkissen gegen Rohrbrüche eingesetzt werden. Sie verhindern das Auslaufen von Flüssigkeiten, etwa Gifte und Öle, die die chemische Industrie durch die Erde transportiert. Kein Wort fällt im Katalog, daß auf Lawrence Gipes Bildern nicht nur Industrieprodukte und Produktionsstätten gemalt, sondern auch Propagandasprüche in roten Lettern aufgetragen sind: „Gott segne das Haus und die Firma Krupp wie bisher, so auch in aller Zukunft ...“ oder „Zum Heil der Werksangehörigen und des ganzen deutschen Volkes“ prangen auf den Werkshallen. In einem Interview spricht Gipe von der „industriellen Ideologie“ seiner Vorbilder; auf seinen Bildern lassen sich Faschismus und Kapital, Fordismus und Krupp nicht trennen.
Nicht Wahrnehmung, sondern Einsichtnahme und Erkenntnis sind Herangehensweisen, wenn moderne Industrieprodukte auch unterm Mikroskop weder anschaulich noch in ihrer Wirkungsweise nachvollziehbar sind. Dennoch spricht der Katalogtext von „Visualität“ und dem „Skulpturhaften des Geschaffenen“, als wäre mit der Wahrnehmung um ihrer selbst Willen etwas gewonnen. Steckers Meinung nach „vermag es die Kunst generell, dem Entfremdeten der Industrie unentfremdet zu begegnen“. Der Betrachter sehe in den künstlerischen Arbeiten nicht Produkte oder Verweise auf industrielle Fertigung, sondern ein entfunktionalisiertes und somit ästhetisches Werk. Doch was heißt das, wenn schon jeder Fußgängerzonenbenutzer im readymade-artigen Kabelgewirr einer Baugrube auch Kunst entdeckt?
Stecker flieht nicht nur vor dem Funktionalen der Kunst, sondern auch vor Fragen nach ihrem Funktionieren. Echte Kunst lasse sich auch nicht „betrieblich“ einspannen, heißt es im Katalogvorwort. Die Vorgängerausstellung „Ansel Adams – Classic Images“, eine Präsentation amerikanischer Landschaftsfotografien, wurde von Mannesmann Mobilfunk und Pacific Telesis Foundation gefördert. Deren erwirtschafteter Überschuß stellt die Finanzierung eben solcher Kunst sicher, welche sich vorgeblich nicht heranziehen ließe. Die industriellen Rahmenbedingungen aber bilden die ökonomische Basis des Düsseldorfer Kunst„betriebs“ – und also auch der dadurch geförderten Ausstellungen.
Kunst wird immer eingespannt; ebenso die Kunstkritik: „Für Ihre zahlreich erschienenen und zumeist positiven Berichte sei Ihnen an dieser Stelle gedankt. Ein Teil unserer Besucher verdankt sicherlich Ihnen die Motivation, nach Düsseldorf, an den Grabbeplatz, zu kommen.“ Die Presseeinladung für Bosslet/Gipe hebt an mit einer Verbeugung vor den Kritikern, die hier jedoch als „Bericht“-Erstatter angesprochen werden. Statt die präsentierten Arbeiten in ihrem kunst- und kulturhistorischen Zusammenhang zu betrachten, sollen sie indessen für den Besuch der Ausstellung und der Stadt Düsseldorf werben.
Bis zum 9. Januar 1994. Der Katalog kostet 45 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen