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"Durch die Mauer erschossen"

■ Ein Besuch im ersten europäischen Cyberspace-Spielcasino: Wer sich in den virtuellen Welten bewegt, sieht von außen nur irgendwie ein bißchen blöde aus

Bemühte man sich vor zehn Jahren noch ums „anders leben – überleben“, so hat man inzwischen das herrschende als einzig mögliches Leben akzeptiert. Mit einem Unterton professioneller Gereiztheit redet man inzwischen nicht mehr über reale Alternativen, sondern ereifert sich – mal mahnend (Sexforscher Bornemann: „Es wird weniger koitiert als je zuvor“), mal begeistert (die New-Age- und Kifferfraktion) über virtuelle Realitäten. Bunt und lustig soll die Welt dort sein, und außerdem „verschmelzen in der Immaterialität des Cyberspace“ die „voneinander isolierten Welten des Geistes und der Objekte“ und „ermöglichen erstmals die unmittelbare Interaktion zwischen der res cognitans und der res extensa“, wie Jörg Fauser in seinem großartigen Buch „Dies gibt es also“ feststellt.

Von außen allerdings sieht das „Cyberspace-Café“ am Zoo, das den „Weg in die vierte Dimension“ weisen soll oder etwas bescheidener ein „Spielabenteuer in 3-D und Hi-Fi-Stereo“ verspricht, eher ein bißchen mickrig aus. Zwei Spielapparate, die „Dactyl Nightmare“ heißen, stehen schläfrig herum.

Dann kommt ein dicker Motorradjacken- und Bartträger, stellt sich breitbeinig wie John Wayne auf eine Plattform und läßt sich von einem großen Gummiring einschließen. Damit er nicht aus der virtuellen in die wirkliche Wirklichkeit fällt. Wie im Fernsehen bekommt er noch einen seltsamen Helm mit fernglasähnlichen Guckdingern und einen Wundergürtel. Wild fuchtelt er dann mit einem Joystick im Imaginären herum, dreht und wendet sich hektisch, hüpft wohl auch mal und sieht dabei irgendwie ein bißchen blöde aus. Was er sieht, kann man auf einem Monitor über der Theke beobachten.

Ein junger Mann hinter der Theke, der in Wirklichkeit „Finanz- und Wirtschaftsberater“ ist und findet, daß Cyberspace „das Ding“ und der „Adrenalinschub überhaupt“ sei, verlangt fünf Mark und kleidet mich ein. Die Maschine grüßt unfreundlich und phantasiearm: „It's time to die.“

Schüchtern und ein bißchen hilflos läuft es mit mir, wenn ich auf einen Knopf drücke, über fünf miteinander verbundene Ebenen. Ab und an stößt man gegen irgendwelche bunte Quader und Säulen, fällt zuweilen nach falschen Schritten ins bunte All, setzt sich hernach wieder zusammen und trifft ständig auf ein Männchen, das einen immer wieder erschießt. Zuweilen wird man von einem großen Vogel entführt. Großer Spaß! Viel Vergnügen! Man kann's auch zu zweit spielen. Nach drei Malen ist man schweißnaß. Jemand hat's „ungefähr schon tausendmal“ gemacht. Nun ja, wenn's der Wahrheitsfindung dient.

Überraschend an der in der Realität eher phantasiearmen und sehr stressigen Cyberspace-Entfremdungsmaschine ist, daß der Ort des Geschehens wiederum recht kommunikativ ist. Anders als in den zombiemäßig depressiven Spielotheken, unterhält man sich hier gerne miteinander, bei Getränken, die bei „McDonald's“ nebenan geholt werden, weil's dort billiger ist als im Automaten, der traurig in der Ecke des sogenannten „Cafés“ steht.

„Neulich hat er mich durch diese Mauer hindurch erschossen“, meint eine blonde Frau, die bei der Volksbühne arbeitet und wenn sie „gut“ ist „7:0“ schafft. Begeistert erzählt ein junger Mann, der als Wachmann am Zoo arbeitet und in einer Stunde nicht soviel verdient, wie er hier für ein einziges Spiel ausgibt, von anderen Cyberspace- Automaten, mit denen er in „Amiland“ gespielt hätte. Da gäbe es Cyberspace-Fußball und -Boxen, da könne man mit Kampfrobotern kämpfen, mit Äxten um sich schlagen oder durch New York mit einem Segelflugzeug fliegen. Letzteres Gerät werde es auch in einem demnächst eröffnenden großen Cyberspace-Salon am Zoo geben, sagt der Finanzberater an der Theke.

Auch an anderen Orten der Stadt gibt es inzwischen neue Maschinen. In der Spielothek am Nollendorfplatz wartet nicht nur ein „Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel“ auf völlig Bescheuerte, auch der „Galspanic“-Apparat lockt komische Männer, die per Joystick schöne Frauen entkleiden wollen. Und den U-Bahnhof Wittenbergplatz hat die technikbegeisterte BVG mit einem Computerterminal ausgestattet, der einem den schnellsten Weg nach Hause mit allen in Frage stehenden Abfahrtzeiten ausdruckt und dabei selbst noch die voraussichtliche Dauer der letzten Strecke zwischen U- Bahn und Wohnung mitteilt. Detlef Kuhlbrodt

Cyberspace-Café; Hardenbergstraße 29d, 10623 Berlin

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