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So Peking! So Oper! „Lebewohl meine Konkubine“ von Chen Kaige  ■ Von Mariam Niroumand

Diesen Film wird man wahrscheinlich als erstes gegen seine Liebhaber verteidigen müssen. Ich hör's schon raunen und rauscheln: „Eine Dreiecksgeschichte! Ein stiller, poetischer, ein nachdenklicher F...“ und so weiter, und dann noch so fremd! So Peking! So Oper!

Dabei weist die „Konkubine“ mit allerdings wirklich leichter Hand von Ost nach West und wieder zurück. Produziert von Hsu Feng, der Star-Aktrice von King Hus Kampfsport-Epen der sechziger und siebziger Jahre, hatte die Sache von vorneherein Hongkong- Bakschisch und eine Romanvorlage aus Hongkong im Rücken: Hsus Ehemann baut in Shanghai Appartmenthäuser für die Parteispitze, die jeweils eine Viertelmillion Dollar kosten. Wenig Wunder daher, daß Chen Kaige, der Regisseur, ganze zehn Tage brauchte, um sein Skript von den Behörden genehmigt zu bekommen, während es bei „Life on a String“, einer viel chinesischeren Angelegenheit, ganze drei Monate gedauert hatte. Nachdem er eine Weile in New York gelebt, ein Duran-Duran-Video gedreht und der dortigen Presse erklärt hatte, chinesische Regisseure wüßten nicht, wie man einen kommerziell erfolgreichen Film macht, ging er zurück nach China, um, wie er selbst sagte, das chinesische Äquivalent zu „Batman“ herzustellen. In den Peking- Studios, in denen sein Vater, Chen Huai-ai, 35 Jahre lang vor allem chinesische Opern verfilmte, entstanden so der Marktplatz, die Schule und selbst das Opernhaus für „Lebewohl meine Konkubine“ – als gäbe es keine Originalschauplätze mehr.

Der Stoff dieser Uralt-Pekingoper, der rote Faden des Films, gemahnt seltsam an die magisch- schamanischen Urzeiten des chinesischen Theaters und ist damit gleichzeitig 19. Jahrhundert at its best: Der König von Chu, Xiang Yu, ringt mit seinem Rivalen Liu Bang um die Vorherrschaft im zerfallenden Reich der Quin-Dynastie. Yu Ji, die Konkubine des Königs, besingt die langen Jahre, die sie ihren Herrn durch alle Fehden hindurch begleitet hat. Der König tritt auf – mit Reitgerte, die ein Pferd bedeutet. Sie trinken Wein und haben Angst. Trommeln künden vom Fortschreiten der Nacht. Als der König schläft, tritt die Konkubine aus dem Zelt und hört die Lieder des Feindes. Der Belagerungsring zieht sich immer weiter zu, und der König fordert die Konkubine schließlich auf, sich in Sicherheit zu bringen. „Eine tugendhafte Frau heiratet kein zweites Mal“, singt sie ihm, lenkt ihn ab, greift sein Schwert und nimmt sich das Leben.

Der Film „Lebewohl meine Konkubine“ nimmt die Oper bei der Hand, als sie etwa hundert und der chinesische Film etwa dreißig Jahre alt ist. In Schwarzweiß beginnt Kaige auf einem Marktplatz in Peking, 1924, dem Jahr, in dem Männer und Frauen erstmalig offiziell in den Theatern der Stadt nebeneinander sitzen dürfen. Ein paar Jahre nach der 4.-Mai-Bewegung, in der Intellektuelle gegen die Übervorteilung Chinas durch den Versailler Vertrag protestierten, ist das Klima günstig für volkstümliches, naturalistisches Theater, aber feindlich gegenüber der Pekingoper, speziell den Männern in Frauenrollen: zu aristokratisch- dekadent-schwul.

Kaige will beides erzählen, Aufstieg und Fall zweier Darsteller des alten Opernstoffes, Douzi und Shitou, deren ganzes Leben darauf angelegt war, Konkubine und König zu sein. Seine Mutter trägt den siebenjährigen Douzi durch die Straßen und bleibt beim Auftritt einer Kinderakrobatengruppe stehen. In wilden, aufgemalten Masken tanzen sie eine Art Breakdance, mit todernsten Gesichtern. Keines lacht, der Tanz ist Knochenarbeit. Die Mutter, eine Prostituierte, kann ihr Kind im Bordell nicht mehr bei sich behalten und will es in eine der Schauspielschulen geben, die eher den Charakter von Kadettenanstalten haben. Weil Douzi einen sechsten Finger an der linken Hand hat, will der Meister ihn nicht nehmen. Da hackt ihm die Mutter im Hof das überzählige Glied ab.

Kahlgeschoren und blutig geprügelt, trainieren Shitou und Douzi in Sackleinen bei frostiger Kälte Tänze, Bewegungen und Gesang. Shitou stabil, kräftig, immun; Douzi, von klein auf zur Konkubine abgerichtet, scheitert, bis er fast totgeschlagen wird, an dem Satz „Ich bin von Natur ein Mädchen“. Immer wieder sagt er statt dessen „Ich bin von Natur ein Junge“, wiederholt er dusslig wie aus dem Grundkurs für Gender Studies. Nachts drängeln sie sich aneinander.

Nach dem ersten öffentlichen Auftritt hat Douzi seine Initiation in das Konkubinenleben: ein Mäzen mit langen, grauen Spinnwebhaaren und einem weibisch-debilen Grinsen befingert und vergewaltigt ihn. Später, in der Nacht, finden Shitou und Douzi im Hof ein ausgesetztes Baby. Sie retten es vor dem Kältetod. In ein paar Jahren, während der Kulturrevolution, wird es sie als Rotgardist an den Pranger liefern.

Wer Freunde der chinesischen Oper mit denen der italienischen vergleicht, wird bei ersteren auf einen zunächst befremdlichen, dann aber irgendwie sympathischen Widerwillen gegen den Expressionismus treffen. Alles ist festgezurrt: Die Höhe der Augenbrauen, die Anzahl der Pfauenfedern, die Art der Blumen auf dem Revers, die Zahl der Schritte, die der König auf die Konkubine zugehen darf. (Immer wieder eine Frage im Film: Sind es fünf, wie sie Shitou macht, oder sind es sieben, wie es Brauch ist und mehr Würde hat?) Was Brecht gefiel, kann uns heute doch nur noch fürchterlich sein: die Befreiung des Schauspielers vom Sentiment, ein fachkundiges Publikum, das in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu seinem sozialen Status die Technik des Mimen beurteilt. Je aristokratischer die Zuschauer, desto mehr waren sie an der bloßen Eleganz interessiert; es war Sache der städtischen Unterschichten, genauestens auf das savoir faire zu achten. Autoritäre Regimes und Strenge der Gattung vertragen sich, so denkt man gemeinhin, gut. Chen Kaiges Film aber zeigt, wie die Pekingoper sich durch störrisches Festhalten an ihrer Konvention jedem Realismus, der Mimesis, der atemlosen Abbildung des Bestehenden verweigert und sich dadurch ein Stück Autonomie bewahrt. Mao Tse- tungs Witwe liebte die Pekingoper angeblich, aber sie wollte, daß Arbeiter und Bauern darin auftreten, in blauen Kitteln statt der filigranen goldroten Roben, und daß sie obsiegen, als Klasse. Klar, daß die Insistenz auf der Rolle der bis in den Tod liebenden Konkubine als nackte, bürgerliche Rebellion gelesen wurde.

„Ich bin von Natur ein Mädchen“: Der Film beginnt als Bildungsroman, führt aber, wie Balzacs Kastraten-Novelle „Sarasine“, mitten ins bunte, ungezähmte Reich der Zeichen, in dem das Geschlecht zur bloßen Maskerade wird. Kastraten gab es zwar in China kaum – die hohen Frauenstimmen wurden trainiert und nicht durch Kastration erzeugt –, aber alles andere war wie an den europäischen Höfen und Schauspielschulen auch: Die Lehrer machten aus ihren Schülern die mädchenhaftesten Mädchen, dan – Frauendarsteller – und ihre Geliebten. Mit deutlichem Widerwillen und gespreizten Fingern beschreibt zum Beispiel Clin Mackerras, Angelsachse wie die meisten Fachleute der chinesischen Oper, einen der ersten großen dan- Darsteller der Pekingoper, als „Primadonna“, als „high class male prostitute“. Erst das späte 19. Jahrhundert setzte die Schauspielerei als Profession durch; nur so konnten aus Vagabunden, Wegelagerern, fahrendem Gesindel oder eben den schwulen Hofschranzen geachtete Bürger Pekings und schließlich Stars werden.

Im Angesicht der japanischen Invasion, die Grundkonstellation der nächtlichen Belagerung in der Oper wiederholend, spielen Douzi und Shitou. Douzi ist Shitou ergeben wie weiland die Konkubine ihrem König, hinter der Maske ist eine Maske ist eine Maske. Kaige hat seinen Film um Douzi herum komponiert: Seinetwegen ist der Großteil in Sepiafarben gehalten; so strahlt das Goldgelb seines Kostüms, seine rote Lippen, die dünnen, gebogenen Augenbrauen extra bright, wie die Gerechtigkeit, Schönheit, Wahrheit und der schöne Schein von alledem schlechthin, aber ach! Die Japaner kommen, und Shitou, der König, heiratet seine Lieblingsprostituierte, Juxian aus dem Haus der Blüten (übrigens: Gong Li!). Douzi kündigt ihm die Freundschaft auf, rettet ihn dann aber doch vor der Demütigung durch die japanischen Besatzer, was ihm widerum später, nach Gründung der Volksrepublik, die Rache der Rotarmisten einträgt. Eines Tages, als er schon bühnenfertig vor seinem König steht, sieht er sich plötzlich einem Double gegenüber. Das inzwischen erwachsen gewordene Baby, das er damals nach seiner Vergewaltigung im Hof gefunden hatte, nimmt seinen Platz als Konkubine ein. Shitous Frau, Juxian, hartnäckig und gänzlich gleichgültig der Oper gegenüber, hindert ihren Mann, auf Douzi als Konkubine zu bestehen.

Douzi fällt in ein tiefes Loch: Fiebernd träumt er Opiumträume unter einem Baldachin, starrt in ein Fischaquarium und wirft sich endgültig einem jungen Mäzen an den Hals. Nachts in dessen Park spielen sie mit Schwertern und verzehren frisch geköpfte Schildkröten. Die Kulturrevolution wird es ihnen heimzahlen.

Ein großer Schauprozeß zerrt die geheimsten Geheimnisse der Protagonisten ans Licht: Shitou verrät Douzi, verrät Juxian. Angeblich war es diese Szene, die den chinesischen Autoritäten der größte Dorn im Auge war (die Sache mit der „Homosexualität“ hat Kaige selbst so klein gehalten, daß kaum Anstoß daran genommen wurde). Bei den Filmfestspielen in Venedig – also während der noch laufenden Olympia-Bewerbung Pekings – erfuhr der Regisseur, daß sein Film nun doch gezeigt würde, damals wußte er allerdings noch nicht, ob auch ungekürzt.

Was diesen Film so souverän macht, sind nicht die drei Portraits des Königs und seiner beiden Konkubinen; es ist auch nicht seine erschreckende Schönheit, sondern es ist der eigentümliche Atavismus, der Starrsinn der alten Oper, in der sich ein Hauch von Renitenz einer Kunst bewahrt, mit der eben kein Staat zu machen ist – damals nicht, und heute, mit den Kaiges und Yimous, auch nicht.

Riesig ist das leere Theater, kalt und blau das Licht, das der alte Hausmeister auf die alten Schauspieler zu Beginn und Ende des Films richtet. Was die Zeit ihnen wirklich getan hat, weiß man nicht; die Masken der Pekingoper wahren ihr Gesicht.

„Lebewohl meine Konkubine“. Regie: Chen Kaige. Buch: Lilian Lee. Kamera: Gu Changwai. Mit Leslie Cheung, Zhang Fengyi, Gong Li und vielen anderen. Hongkong, China, Taiwan, 1993, 169 Min.

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