: Zwei Purzelbäume rückwärts
■ Der russische Kulturminister Sidorow schließt auf einmal die Rückgabe der „Bremer Bilder“ gänzlich aus / Helga Trüpel: Wir lassen uns nicht erpressen
Die Bremer Kunsthalle hatte sie quasi schon in der Hand gehabt, die knapp 500 von ihren teils kostbaren Bildern, die seit dem Kriegsende im heutigen Rußland lagern. Jetzt ist es wieder nichts damit: Vor zwei Wochen hat der russische Kulturminister Sidorow der Zeitung „Segodnja“ gesagt, er denke überhaupt nicht mehr an eine Rückgabe; die Bilder sollten in Rußland bleiben und dort der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
„Das sind zwei Purzelbäume rückwärts“, sagt Wolfgang Eichwede vom Osteuropa-Institut der Uni, der im Auftrag von Kunsthalle und Kulturbehörde seit Jahr und Tag hinter den Bildern her verhandelt. In der Tat waren die Absprachen schon weit gediehen gewesen. Im vergangenen Februar hatte eine russische Delegation nach dreitägigen Gesprächen im Bremer Rathaus ein „Absichtsprotokoll“ unterzeichnet, welches die baldige Rückkehr der Bilder in den Besitz der Kunsthalle anstrebte.
Im Mai sollte bereits die erste Lieferung eintreffen; und am Ende der Aktion war eine große Ausstellung in Bremen so gut wie verabredet. Ja: Es stand schon ein schwerwiegender Sponsor bereit, die Kosten zu tragen; und die Kunsthalle war selig im Hinblick auf die bundesweite Aufmerksamkeit, die ihr dazumal gewiß sein sollte. Im Gegenzug hatte Bremen „einen ganzen Blumenstrauß“ von Erkenntlichkeiten gebunden, sagt Eichwede. Unter anderem wollte man mittels einer breiten „gesellschaftlichen Initiative“ bei Restaurierungsarbeiten in Nowgorod helfen.
Jetzt aber heißt es, die Delegation, die ehedem doch von Sidorow persönlich entsandt worden war, sei eine rein private gewesen; das meldete neulich die Moskauer FAZ-Korrespondentin. Inzwischen schwindet sogar die Aussicht auf die gut hundert Zeichungen, die die russische Regierung bereits vor Monaten feierlich zurückerstattet hatte. Die Schätzchen, darunter Blätter von Dürer und Toulouse- Lautrec, lagern immer noch in der deutschen Botschaft in Moskau; man verweigert ihnen die Ausfuhrgenehmigung.
Wolfgang Eichwede, nach Gründen für die neue Kälte befragt, hat zwei Antworten: Erstens fürchte womöglich die russische Seite, es möchten allerlei Nationalismen geschürt werden, wenn nun die Rückgabe kostbarer Beutestücke sozusagen an die alten Kriegsverbrecher anstehe. Zweitens wolle vielleicht der Minister ein wenig pokern, um statt guter Taten echtes Geld für die Bilder zu sehen.
Die Kultursenatorin Helga Trüpel beklagt die „deutliche Verhärtung“, will aber nicht nachgeben: „Wir erwarten, daß sich auch die andere Seite an unsere Abmachungen hält. Wir werden uns nicht erpressen lassen, und wir werden auf unser Angebot nichts draufsatteln.“
Unterdessen kommen der Senatorin immer wieder Gerüchte zu Ohren, wonach einzelne dieser Bremer Bilder seit kurzem auf den internationalen Auktionsmärkten auftauchen. „Das wäre natürlich nicht in unserem Sinn“, sagt sie, „daß man diese Bilder jetzt auf dem grauen Markt verhökert“.
Man weiß es aber nicht, und der eine, der es vielleicht doch weiß, darf es nicht sagen: Dr. Dr. Rudolf Blaum, der Vorsitzende des Bremer Kunstvereins, sitzt in der Kommission des Bundes, die sich um die Kunstschätze kümmert, allein „es ist uns Mitgliedern das strengste Schweigegebot auferlegt worden, was diese Sache betrifft.“
Die Wende ist umso merkwürdiger, als die Experten nach wie vor umstandslos miteinander auskommen. „Unter den Museumsleuten laufen die Gespräche weiter“, sagt Eichwede. Auch die Bremer Arbeitsgruppe, die nach den Verbleib russischer Kulturgüter im Westen forscht, macht weiter, obwohl ihr der Einblick in die Akten der Roten Armee, der dafür nötig wäre, nach wie vor vom Kulturministerium untersagt wird. „Das Witzige ist“, sagt Eichwede, „daß uns aus dem selben Ministerium immer öfter Nachfragen nach einzelnen verschollenen Werken erreichen. Da läuft einfach auch vieles ganz ungesteuert.“ Niemand wolle aber wegen vorübergehender Schwierigkeiten das Erreichte gefährden. „Wir hätten ja auch gar nicht die Mittel dazu“.
Manfred Dworschak
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