Sanssouci: Vorschlag
■ "Zwei Drittel spielt verrückt" - Musiktheater im SO 36
Lenin, Petra Kelly, Che Guevara, Stalin und Rosa Luxemburg proben den Ausbruch. Einer fehlt noch. „Wer nicht zum Plenum kommt, ist selber schuld“, mault Lenin. Doch schon kommt der Anarchist Durutti mit schwarzem Schlapphut und Molotowcocktail angeschlichen. Leider wird es trotzdem wieder nichts mit der Freiheit, denn Petra hat auf Bio-Brennstoff bestanden, und der ist nicht „umwälzfreundlich“. Dabei hatte das Stück doch ganz anders angefangen. Erst kündigte ein Ansager in Paarreimen politisches Theater an – und dann hob sich der Vorhang über Marat in der Badewanne. Er diskutierte dort mit de Sade über Individuum und Gesellschaft. Entsetzen im Publikum. Aber keine Angst, tröstet der Ansager: „Der Brecht-Kelch geht an euch vorbei.“ Alles nur eine Probe von Peter Weiss' „Marat/ Sade“, und die Kaffeepause kommt bestimmt und mit ihr Streit und Entspannungsübungen der Schauspieler.
„Zwei Drittel spielt verrückt.“ 14 Darsteller spielen unter der Regie von Jan-Geerd Buss 28 Rollen. Sie spielen Schauspieler, die Irre spielen, die Marat, de Sade und Charlotte Corday spielen. Später spielen die Schauspieler Irre, um im Irrenhaus proben zu können, denn der Senat für kulturelle Angelegenheiten hat keine Zuschüsse bewilligt. Inmitten robuster Pfleger, hysterischer Oberärztinnen und lauter verrückter Genossen ist die Gefahr natürlich groß, selbst überzuschnappen. Und ist es drinnen nicht besser als draußen? „Draußen ist der Wahnsinn brav und angepaßt“, singen die Irren. So wie die taz-lesende Sozialarbeiterin, die den schönsten Song des Abends – „Ich bin Sozialarbeiterin“ – singt, aber den Irren bei der Flucht auch nicht helfen kann. Da muß am Ende der dreistündigen Verwicklungen schon ein reitender Bote her wie in der Dreigroschenoper – hier in Gestalt eines „Senatsengels“ mit Scheck – „alles war nur ein Irrtum!“. Die Freude ist groß, das große illuminierte Schlußtableau prächtig. Der Brecht-Kelch geht also doch nicht am Publikum vorbei. Aber sein Inhalt schmeckt ganz wunderbar. Miriam Hoffmeyer
Bis 12.12. mittwochs bis sonntags um 20.30 Uhr im SO 36, Oranienstraße 190
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