piwik no script img

Von Straßenjungs aufgefressen

■ „Plötzlich letzten Sommer“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Man blickt in einen verdorrten Garten mit bizarrem Geäst. Vereinzelt hängen rote Blüten daran. Aus einer unsichtbaren Quelle wabert Nebel über den Boden, oben dräut eine Wolke aus Maschendraht. Das Bühnenbild von Hans Brosch ist eine Exposition des psychologischen Kammerspiels von Tennessee Williams. Im Laufe des Abends gewinnt man folgerichtig Einblick in eine verdorrte alte Seele, in eine verzweifelte, aber doch noch blühend junge, in zwei Kriechernaturen, und über allem hängt das Geheimnis eines Verstorbenen.

„Plötzlich letzten Sommer“ war zur Zeit seiner Uraufführung, 1958, thematisch sicher provokant. Eine alte Millionärin will das Bild ihres jüngst verstorbenen Sohnes als das eines keuschen Dichters aufrechterhalten. Tatsächlich war er ein neurotischer Homosexueller, der von hungrigen Straßenjungs regelrecht aufgefressen wurde. Seine Cousine war bei ihm, als das Unglück passierte. Damit sie die Wahrheit nicht verbreitet, will die Alte das Mädchen einer Gehirnoperation unterziehen lassen.

Das Thema der Homosexualität wie auch der Mißbrauch psychiatrischer Maßnahmen müßte heute anders behandelt werden. Übrig bleibt das Drama zweier Frauen, die sich gleichermaßen von besagtem Söhnchen abhängig gemacht haben. Er wurde zur Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte und hat sie doch nur als Lock- und Tarnvögel seiner sexuellen Abenteuer benutzt. Während das Mädchen dies im Nachhinein erkennt, ist die Mutter zum Umdenken nicht mehr fähig.

Petra Segtrop, die langjährige Assistentin am Deutschen Theater, führt bei dieser Geschichte erstmals selbst Regie. Man muß die Stückwahl als Huldigung an Inge Keller verstehen, die im Dezember 70 Jahre alt wird. Für Schauspielerinnen in ihrem Alter gibt es wenige große Rollen. Die der Millionärin ist eine, und Keller brilliert darin. In lavendelfarbenem Gewand und mit zwei neckischen Spängchen im Haar führt sie sich als versponnenes, allzu spätes Mädchen ein und entwickelt sich dann immer deutlicher zur tyrannischen und skrupellosen Wächterin ihrer Zwangsvorstellung. Keller verfügt über eine ausgefeilte Sprachkunst und – auch in der Gestik – einen bestechend trockenen Witz.

Komisch ist Segtrops Inszenierung häufig, dafür sorgen auch Christine Schorn in der Rolle der dümmlich-exaltierten Mutter des Mädchens und Götz Schubert als korrupter, aber um Haltung bemühter Gehirnspezialist. Petra Hartung sollte schauspielerisch die zweite Säule des Abends sein. Sie spielt das Mädchen Catherine aber weniger als Opfer denn als liebesbedürftige Zynikerin. Im roten Cocktailkleid und ständig mit ihren Haaren beschäftigt, glaubt man ihr nicht, daß sie seit Monaten von einer geschlossenen Abteilung in die nächste wandert und mit Psychopharmaka vollgestopft wird. Erst in ihrem Schlußmonolog hat sie den Raum, auch Zwischentöne echter Verzweiflung zu entfalten.

Mit kleinen Abstrichen ist alles an der Inszenierung zu loben: der Rhythmus, die Darstellung, die kurze Spielzeit von etwa 100 Minuten... Aber man muß dies nicht gesehen haben. Es ist brav und vergnüglich, in Momenten auch spannend – eine niveauvolle Abendunterhaltung der zeitlosen Art. Die Tendenz am Deutschen Theater, bei gleichbleibender Qualität auf Nummer Sicher zu gehen, wird hier wieder deutlich. Man bedient sein Publikum zwar bestens, aber man bedient es eben. Daß die Leute kommen, müßte viel stärker zu regielichen oder dramaturgischen Experimenten genutzt werden. Eine ästhetische Vielfalt, wie sie zuletzt auf zugegebenermaßen unterschiedlichem Niveau im Schiller Theater geherrscht hat, ist am Deutschen Theater seit einiger Zeit nicht mehr zu bemerken. Dabei kann dieses Haus ruhig etwas riskieren. Eine Umfrage des manager magazins vom November zeigt: Sein guter Ruf hat sich bundesweit auch schon statistisch festgefressen. Petra Kohse

„Plötzlich letzten Sommer“ von Tennessee Williams. Regie: Petra Segtrop, Ausstattung: Hans Brosch. Mit Petra Hartung, Annelene Hirscher, Inge Keller, Katrin Klein, Christian Schmidt, Christine Schorn und Götz Schubert. Nächste Aufführungen am 7., 15., 25. und 30.12., 19.30 Uhr, Kammerspiele des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13a, Mitte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen