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Zwischen Provokation und Verteidigung

■ Autonome Flüchtlingshilfezentren in Italien sammeln Behördengeschädigte auf

Wenn Giancarlo Badella an die Stationen seines Lebens denkt, „kommt einem das immer so vor wie eine Mischung aus Flucht und dann doch wieder avantgardistischem Leben“. Auch sieht er sich „mal als eine Art Apostel einer neuen Welt“, mal „als Dinosaurier eines längst überlebten Humanismus“. Der angegraute Fünfzigjährige, einst Studentenrevoluzzer, dann 15 Jahre Betreuer in Drogenentziehungsheimen, hat so ziemlich alle Stationen durchlaufen, die Italiens nichtstaatliche Hilfseinrichtungen für Randgruppen bieten, von Caritas-Heimen über studentische Auffang-Refugien bis zu den großen selbstverwalteten Zentren. Doch seine derzeitige Arbeit für Immigranten aus der Dritten Welt macht ihm „mehr Freude als alles andere“. Zusammen mit vier Frauen und Männern betreut er eine Gruppe albanischer, zentralafrikanischer, somalischer und indischer Flüchtlinge und Zuwanderer „und auch ein paar aus dem sozialen Netz gefallene Italiener“, will heißen: flüchtige Straffällige.

Und das ist eine Erfahrung, die die hier in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen nahe der Provinzhauptstadt Latina zusammengekommenen Halb-Outlaws fast alle mitbringen: Ngano zum Beispiel, er kommt aus dem Tschad, ist bereits 1983 nach Italien zugewandert, illegal und per Schiff. Dann hat er sich 1989 im Zuge der Amnestie bei den Behörden gemeldet – „der größte Fehler meines Lebens“: Von da an mußte er sich regelmäßig bei der Polizei melden und wurde dann oft gnadenlos in immer neue „Fremdenlager“ verbracht, „eigentlich immer, wenn ich gerade eine feste Arbeit hatte, mußte ich wieder weg“ – meist wurde das Heim wegen Bürgerprotesten oder weil da etwas gebaut werden sollte, aufgelöst, und „da reißt der Staat brutal ganze Familien auseinander“. Seine Frau konnte ihn einmal erst nach einem halben Jahr wiedersehen: Inzwischen nämlich war Ngano den Behörden unangenehm aufgefallen – er hatte sich einer weiteren Verbringung „entzogen“, war beim illegalen Tandverkauf am Strand von Rimini kontrolliert, festgenommen und zwei Monate in Abschiebehaft gesteckt worden.

Banassar, eine vierzigjährige Frau aus dem südlichen Indien, zeigt Messerverletzungen am rechten Arm: Sie war in die Hände von Zuhältern gefallen, hatte drei Jahre gebraucht, bis sie ihnen endgültig entfliehen konnte – „immer wenn ich glaubte, die einen loszuhaben, geriet ich irgendwo in eine Polizeikontrolle, und dort im Gefängnis scheinen die Loddel nur darauf zu warten, daß wieder ein Schub farbiger Frauen kommt.“

Geschützt von Giancarlo und den Mitarbeitern der Gruppe, haben Menschen wie Ngano und Banassar auch gelernt, sich besser zu verteidigen: Vier Anwälte, die zur Gruppe gehören, besuchen alle zwei Tage die Anlaufstelle und die von ihnen bewohnten ehemaligen Bauernhöfe – „wenn da einer fehlt, gehen die sofort zur Polizei und stellen fest, ob es Festnahmen gegeben hat“, die Immigranten tragen alle Briefe der Anwälte mit sich, die sie sofort aushändigen, wenn es knapp wird.

Auch das Leben haben sie sich hier etwas besser als anderswo einzurichten vermocht; vom nahen Billig-Supermarkt holen sie gemeinsam alles für den Lebensbedarf, verdient wird auf den umliegenden Wochenmärkten in Latina, Sermoneta, Pontinia mit Trödelverkauf oder Zulangen beim Beladen der Lastwagen.

Ob diese Initiative auf Dauer gutgeht, läßt sich schwer sagen. „Immerhin“, sagt Baldan, ein Albaner, der noch zu Zeiten der Diktatur ausgerückt und nach Italien gekommen ist, „immerhin herrscht hier seit jeher eine liberale Tradition – Mussolini hat tausendweise Veteranen hier angesiedelt, Papst Wojtyla mehr als fünftausend Polenflüchtlinge hier untergebracht – es wird auch noch für Leute wie uns hier reichen.“ Werner Raith, Pontinia

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