Viel Papier im Keller

Auf seinem Treffen zum 25. Jubiläum wollte der Club of Rome Visionen für Europa entwickeln  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Das große Geviert von blaßgelb bedeckten Tischen bot durchaus allen hundert Mitgliedern Platz in den ersten Reihen. Doch auch die hatten sich schon gelichtet, als die Wissenschaftler und Unternehmer aus 52 Ländern zum Abschluß ihrer Jubiläumstagung nach den „Strategien für ein Europa Vision 2020“ suchten. Den Blick auf das riesige Blumenbouquet in der Mitte des Saales gerichtet, sprach Aklilu Lemma von dem „herrlichen Erlebnis, an diesen drei Tagen teilnehmen zu dürfen“, von seinem „Stolz“ zu jenen durchweg über fünfzigjährigen 91 Männern und neun Frauen zu gehören, die sich ihre Mitgliedschaft in diesem illustren Club jährlich 1.000 Dollar kosten lassen. Doch dann konnte der in Kampala für die Unicef tätige Afrikaner eine Mahnung nicht unterlassen: „Wer Europa blühend und gesund sehen will, der sollte sich auch Gedanken über ein blühendes Afrika im Jahr 2020 machen“, sagte er, und seine Feststellung, daß in vielen Ländern Afrikas „jeden Tag mehr als 100 Kinder an Hunger sterben“, konstrastierte doch mit dem pompös-kitschigen Hotelsaal am hannoverschen Flughafen, mit den in Gold an die Wände gemalten Säulen, mit den zu griechischen Tempelchen geordneten Spiegelflächen.

„Im nächsten Jahr werden wir uns hoffentlich in Kairo treffen können, um dann die Weltproblematik zu besprechen“, entgegnete Ricardo Dez-Hochleitner, Präsident des Club of Rome. Der „Zusammenbruch des Kommunismus“ und seine Folgen, der „Untergang des Sowjetunion, der andauernde Balkan-Krieg waren in diesem Jahr Anlaß, auf der 25. Tagung „über die zukünftige Rolle Europas in einer neuen Weltordnung nachzudenken“. Die Vision reichte „von Reykjavik bis Wladiwostok“. In der Abschlußerklärung sah der Club durchaus Chancen, daß sich dieser eurasische Raum in den nächsten 30 Jahren „mit Frieden, politischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität zu einem der größten Märkte der Welt entwickelt“, der „mit anderen ökonomischen Gruppierungen in Nordamerika und Asien konkurrieren kann“. Pessimismus wollten die Philanthropen nicht verbreiten, sie sprachen von „vielen Entwicklungsmöglichkeiten der neuen Ära, gar einer „neuen Renaissance“. Doch dafür bedürfe es „radikaler Reformen der Strukturen und Mentalitäten“.

Die Rolle des Mahners, des Weltgewissens, hat der Club dennoch nicht aufgegeben. Der Präsident sah Europa vor einem gefährlichen geschichtlichen Wendepunkt, vor dem Wechsel „vom kalten Krieg in den kalten Frieden“, konstatierte einen weltweiten Kampf um die „ökonomische Hegemonie“. Den „klassischen Industrieländern“ brächen die Märkte weg, ein Rückfall in nationalstaatliches Denken drohe, und die Welt insgesamt müsse „düsterer als je zuvor“ beschrieben werden, bestimmt von Massenarbeitslosigkeit und Bevölkerungsexplosion. Alexander King, Ehrenpräsident, sah die politische Kultur verfallen und das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit politischen Institutionen schwinden. Ehrenmitglied Michael Gorbatschow warnte vor „einer neuen Teilung Europas“ und vor einem Übergreifen von Krisen von Ost- nach Westeuropa.

Einst hatte der Club of Rome noch die Welt im Computer simulieren müssen, um seine Warnungen zu begründen. Heute genügt es, aktuelle Katastrophenmeldungen zu wiederholen. „Nur wenige unserer Feststellungen sind nicht Realität geworden“, konnte Clubpräsident Dez-Hochleitner schreiben. Generalsekretär Bertrand Schneider befürchtet, daß „die Kellerräume der Welt inzwischen überfüllt sind von ungelesenen theoretischen Berichten“. Daraus müßten nun umsetzbare Ergebnisse entstehen.

In der Abschlußdiskussion war es nicht zufällig der Russe Jermen Gvishiani von Moskauer Institut für Systemanalyse, der diesen Gedanken kritisch wieder aufnahm: „Es hat hier viele Soloauftritte gegeben, aber die Synthese ist zu kurz gekommen“, durchbrach er das Ritual des Eigenlobs. „Wir sollten den Stil unserer Arbeit verbessern.“

Unter den Jorunalisten war derweil schon von einem „Gipfel der Selbstbeweihräucherung“ die Rede, und die Schlußerklärung löste den verzweifelten Kommentar aus: „Da ist keine einzige Nachricht drin.“ In diesem Papier setzt der Club of Rome ganz auf die Europäische Union, will, „daß sich die Europäische Union nicht in erster Linie nur als Markt versteht, sondern als Prozeß für eine „neue gemeinsame europäische Entwicklung mit Unterstützung durch die USA und Japan“. „Innovative Ansätze des Regierens“ sollen an einem europäischen College für Politiker gelehrt werden. „Aufklärung der Öffentlichkeit“ und „multikulturelle Erziehung“ sollen den Einwanderungsproblemen begegnen. Ansonsten freut sich der Club of Rome darauf, „sich auch weiterhin in die Entstehung und Entwicklung eines neuen europäischen Schicksals einzubringen“.