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Deutlicher Sieg von Caldera

Ruhige Präsidentschaftswahlen in Venezuela  ■ Aus Caracas Ralf Leonhard

Der Triumph des Dissidenten der Christlichsozialen Partei (COPEI), Rafael Caldera, bei den Präsidentschaftswahlen in Venezuela fiel mit 31 Prozent der gültigen Stimmen deutlicher aus, als die Umfragen der letzten Wochen erwarten ließen. Caldera lag immerhin sieben Prozent vor dem Zweitplazierten, dem Sozialdemokraten Claudio Fermín, der als erster seine Niederlage eingestand. In der Hauptstadt Caracas bekam allerdings der ehemalige Gewerkschaftsführer Andrés Velásquez der linken Causa Radical die meisten Stimmen.

Dies eindeutige Wahlergebnis, die relativ hohe Wahlbeteiligung und die Aufmerksamkeit der Presse trugen dazu bei, mögliche Versuche eines Wahlbetruges oder eines Militärputsches im Keim zu ersticken. Noch am Vorabend der Wahl wollten Geschäftsleute in Caracas aus sicheren Quellen gehört haben, daß unmittelbar nach Schließung der Wahllokale das Kriegsrecht verhängt und die Auszählung gestoppt würde. Denn die vorhersehbare Niederlage der Christ- und Sozialdemokraten, die einander die letzten 35 Jahre an der Macht abgelöst hatten, versetzte die Nutznießer des Systems, nämlich Politiker und hohe Militärs, in Panik.

Daß die Armee von der Verteilung des Wahlmaterials über die Bewachung der Wahllokale, den Transport der ausgezählten Stimmzettel nach Caracas und über eine direkte Leitung zum Zentralcomputer des Obersten Wahlrates die totale Kontrolle über diesen Prozeß hatte, gab Anlaß zu jeder Art von Spekulationen. Doch gleichzeitig sind seit den letzten Wahlen mehrere Reformen vorgenommen worden, die eine genauere Kontrolle zulassen. So durften erstmals die Bürger den Auszählungsprozeß beobachten. Und die Stimmzettel wurden, anders als früher, nicht unmittelbar nach der Auszählung verbrannt, sondern werden für mögliche Anfechtungen 30 Tage aufbewahrt.

Keine Euphorie im Slum

Im Stadtteil „23. Januar“ rechnete man trotzdem mit dem Schlimmsten. Das Armenviertel im Westen von Caracas ist seit Jahrzehnten eine Hochburg der Rebellion und steht fast geschlossen hinter dem ehemaligen Gewerkschafter Andrés Velásquez der Causa Radical. Der legendäre Guerillaführer Ché Guevara lacht dort gleich neben dem Befreiungshelden Simon Bolivar von einem Wandgemälde gegenüber einer der Schulen, die als Wahllokal diente. Und nirgends gab es mehr Tote, als die Armee im Februar 1989 einen Hungeraufstand niederschlug. Die Bewohner des Hochhaus-Slums sind also abgebrüht. „Wenn sie uns die Wahl stehlen wollen – wir sind bereit“, verkündete Silvio, der mit einem Walkie-Talkie herumlief, um allfällige Aktionen koordinieren zu können.

Der Wahlprozeß verlief jedoch im ganzen Land ohne nennenswerte Zwischenfälle. Und der Oberste Wahlrat erlaubte den Medien noch vor der Bekanntgabe des ersten offiziellen Teilergebnisses die Veröffentlichung inoffizieller Hochrechnungen. Vier Stunden nach Schließung der Wahllokale trat Rafael Caldera, flankiert von Ehefrau Alicia und seinen zahlreichen Kindern und Enkeln vor seine begeisterten Anhänger und versprach, die verlorene Einheit des Volkes wiederherzustellen. Seine Vereidigung am 4. Februar soll nicht eine aufwendige „Krönungsfeier“ mit Ehrengästen aus aller Welt werden, sondern der Auftakt eines Austeritätsregimes.

Caldera, der mit der von ihm mitbegründeten christlichsozialen COPEI gebrochen und seine eigene Partei, die Convergencia, gegründet hat, erbt ein Land, das nach Jahren der Erdölbonanza in eine schwere Krise getaumelt ist. Eine Krise, die im vergangenen Jahr in zwei Militärrevolten gipfelte, die die Venezolaner aufrüttelte und das System, das von Vetternwirtschaft und Parteienfilz zusammengehalten wurde, ins Wanken brachte. Caldera versprach eine Revision des neoliberalen Wirtschaftsprogramms seines Vorgängers, wird aber viele Kompromisse schließen müssen. Denn seine Koalition reicht von der Kommunistischen Partei bis zu Anhängern der Militärdiktatur. Und im Parlament hat nach den Wahlen vom Sonntag keine der vier großen Parteien eine ausreichende Mehrheit.

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