: Immense Fallhöhen
■ "Der Holocaust im US-Fernsehen" - Über einen Vortrag von Jeffrey Shandler
MTV America sendet zur Zeit einen Kürzest-Spot mit Bildern aus Konzentrationslagern des Hitler-Regimes. Es handelt sich um drei Schwarzweißfotografien, keine zwei Sekunden lang. Nicht einen Moment länger braucht die Ikonographie des Holocaust, um verstanden zu werden. Die Botschaft folgt sogleich: „Vote, because there is no excuse not to vote.“ Wählst du nicht, haben wir bald Verhältnisse wie im KZ.
Bilder des Holocaust für demokratische Wahlen unter einem moralisch gedachten Zwang, sie sind die Fortsetzung einer sehr früh im amerikanischen Fernsehen einsetzenden patriotischen Holocaust- „Aufklärung“. Bilder amerikanischer GIs, die verhungerte displaced persons aus den KZs befreien, erfüllten die Nachkriegsamerikaner mit derart emphatisch-patriotischen Gefühlen, daß das findige Showbusiness eine Sensation vermuten konnte. 1952 – so der New Yorker Judaist und Filmwissenschaftler Jeffrey Shandler anläßlich seines Vortrags im Kommunalen Kino Frankfurt – entdeckte das gerade entstandene Fernsehen im Holocaust ein Mittel der Empathie. Weinende Angehörige, die totgeglaubte Ex-Inhaftierte wiederfanden, emigrierte Ehemänner, die ihre in Europa gebliebene Frau aufspürten; hungernde, unschuldige Kinder, die in Amerika von ihren vor Glück schluchzenden Verwandten in die Arme genommen wurden.
Die „Rache“ dieser einst hungernden Kinder folgte in den Achtzigern, als sie mit einem Fernsehteam durch das jüdische Viertel von Paris schlenderten und als Reiseführer die Pittoreske eines Viertels zeigten, in dem sie aufgewachsen waren. Der niedliche Bäcker hier, der kleine Gemüseladen da. Nur wenige Schritte weiter der wunderschöne Ausblick auf Notre Dame. Was für ein romantischer Flecken! Und Hitler hatte diese Kinder aus soviel Schönheit vertrieben.
Unerreicht jedoch blieb eine Fernsehserie mit dem Titel „This is your life“, eine Interview-Sendung von Ralph Edwards, die zwischen 1952 und 1961 zu Recht The weepiest show on TV genannt wurde. Geweint wurde ohne Unterlaß. Noch heute, in der Dunkelheit des Frankfurter Kommunalen Kinos, fließen Tränen der Rührung, gehen die Schneuztücher um. 30 Minuten wird eine Person überrascht, die jahrelang im KZ inhaftiert war und nun im glücklicheren Amerika lebt. Ein Beispiel von 1953. Hannah Bloch Kohner aus dem ehemaligen Sudetenland. Sie sitzt im Publikum, ahnt nichts von der Umtriebigkeit ihrer Verwandten. Ralph Edwards holt sie auf die Bühne. Ihre Geschichte wird mittels eines Fotoalbums knapp aufgerollt, die Zeitzeugen ins Studio geholt. Die Mitinhaftierte, der Soldat, der sie befreite, der Bruder aus dem fernen Israel. Ihre Geschichte holt sie ein. Sie stammelt nur „no“ und „it's not true“, fällt all denen um den Hals, die sie meist mehr als sieben Jahre nicht mehr gesehen hatte. Die Fallhöhe ist immens. Eingespert, dem Tod so nah. Dann die Rettung nach Amerika. Nun die Wiederkunft der Vergangenheit, ohne daß sie selbst auch nur einen Satz über den Holocaust erzählen dürfte. Eine auf die Sekunde getimte Inszenierung der Wiedersehensfreude. Der Tod ihrer Familie in den KZs von Buchenwald und Auschwitz ist eine lapidare Randnotiz. Erst die lange Trennung von ihren Weggefährten durch den Holocaust ruft die eigentliche Katharsis hervor. Die Überraschung, ein Showritual, ein Triumph des amerikanischen Geistes über die Unbill der Welt.
Verschwiegen wird, daß Amerikas restriktive Immigrationspolitik Hannah Bloch Kohners Flucht ins Exil verhinderte. Der Zeitpunkt ihrer Deportation war nach der Ablehnung nur noch eine Frage der Zeit. Delikat auch ist der Zeitpunkt dieser Sendung. 1953, „300 Jahre nach der Landung des ersten Juden in Amerika“, waren ausschließlich Juden der Spionage für die Sowjetunion in der sogenannten Rosenberg-Affaire angeklagt und wurden hingerichtet. Die Sendung „This is your life“ beruht auf nichts anderem als auf Spionage, auf Recherchen im Umkreis von Hannah Bloch Kohner, auf detaillierte Informationen über ihre Vergangenheit, ohne daß sie selbst etwas davon erfahren durfte. Der Überraschung wegen, zu der der Holocaust einen sensationellen Anlaß bot.
Nur das deutsche Fernsehen, sonst nie verlegen im Abkupfern amerikanischer Shows, traute sich an die Überlebenden des Holocaust nicht heran. In der Show „Das ist ihr Leben“ aus dem Jahre 1976 wurde mit demselben Fotoalbum unterm Arm des Moderators Carlheinz Hollmann genau dasselbe Überraschungsverfahren benutzt. Reimmigrierte Juden schienen den deutschen Unterhaltern jedoch zu heikel. Eingeladen wurden nur sattbekannte Fernsehstars. Arnd Wesemann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen