The Crying Game

Noch eine Konkubine: David Cronenberg scheitert mit „M. Butterfly“ an einem Geschlechterspektakel plus Spionageaffäre plus Kolonialerotik; da half weder Irons noch Sukowa. Abgesang auf den Fliegenfänger von Montreal  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Lange Jahre hatte der kanadische Filmemacher David Cronenberg sein Ohr am sich ängstigenden Hirn der westlichen Welt gehabt. Was als Modelogo „virtuelle Realität“ inzwischen auch die ARD erreicht hat, hatte er bereits vor mehr als zehn Jahren in diversen Filmen sehr körpernah und genrevermischend inszeniert, einiges zur Gen-Diskussion geliefert und diverse „Diskurse“ über Körper/Sex/Identität mit irritierenden Filmen gefüttert. Szenen seiner Filme wurden zu Emblemen ihrer Zeit: die beiden Köpfe aus „Scanners“ (1980), die beim Versuch, sich zu vernetzen, explodieren; der „Videodrome“-Held (1985), der sich eine Videocassette in den Magen schiebt, „Brundlefly“, die anfangs recht beängstigende Mischung aus Wissenschaftler und Fliege, die in „The Fly“(1986) ihr Unwesen trieb und schließlich die recht emphatische New-Age- Hymne „Long live the new flesh – death to Videodrome!“

Von herkömmlichen Science- fiction- und Horrorfilmern unterschied sich der ausgesprochene Hirnerotiker Cronenberg vor allem dadurch, daß er seine obsessiven Ängste vor Identitätsverlust durch jede Form von Vermischung stets besessen sexualisierte. In „Rabid“ (1976) wachsen den infizierten Frauen penisartige Stacheln unter den Achseln, mit denen sie beim Liebesspiel die Männer totstechen; eine Mischung zwischen Möse und klaffender Wunde ist der Spalt im Bauch, in den der Videodrome-Held eine Videocassette schiebt, auf der wiederum Darstellung und Dargestelltes übereinstimmen (Hier werden wirklich Frauen geopfert: „Just torture, murder, no plot“). „Brundlefly“ freut sich anfangs sehr, daß er/es unendlich lange ficken kann, um am Ende als klassisch liebeskrankes Filmmonster jämmerlich zu verenden (denn Sex ist nicht alles). Besonders weit in der Bebilderung panischer Misogynie ging der ultraharte Gynäkologenthriller „Dead Ringers“. Die Möse ist das Böse; ihr wird mit äußerst ekligen, neuerfundenen gynäkologischen Instrumenten auf den Leib gerückt.

In der beängstigenden Schilderung einer von Männerängsten beherrschten, übertechnisierten, sterilen, westlichen Angestelltenwelt war Cronenberg unübertroffen. Doch als er die Welt, die er kannte, verließ, wurden seine Filme überflüssig. „Naked Lunch“, die fast frauenfreie Yuppieversion des pornografischen Drogensammelsuriums von W.S. Burroughs, ist ein sich allen salonphilosophisch Interessierten anbiedernder Angeberfilm, in dem sich die Schreibmaschinen drogensüchtiger Dichter immer wieder unmotiviert in possierliche Käferchen (Aha, Kafka! freuten sich die Kritiker und „interpretierten“ in pawlowscher Automatik) oder schmierig-sympathische Monster verwandeln, die den Aliens aus der „West“-Reklame zum Verwechseln ähnlich waren. Vor allem wirkten die keimfreien Designerbilder, die die urbanen Erste-Welt-Schauplätze seiner anderen Filme so anfällig für den hereinbrechenden Horror machten, in Nordafrika, dem Schauplatz von „Naked Lunch“, nur noch kolonialistisch und verlogen.

Was man in „Naked Lunch“ noch mit sehr viel gutem Willen der drogenumnebelten Romanvorlage hätte zuschreiben können, erfährt in „M. Butterfly“ seine unangenehme Fortsetzung. Auch hier lokalisiert Cronenberg seine Irritationen nicht mehr in der eigenen westlichen Welt, sondern projiziert sie auf eine andere Kultur, auch hier steht ein Roman, diesmal allerdings ein Tatsachenroman Pate, (Joyce Wadler: „Liaison – Die unglaubliche Affäre des M. Butterfly“, erscheint logischerweise zum Filmstart).

Peking 1964. René Gallimard, ein Angestellter der französischen Botschaft (Jeremy Irons) verliebt sich in Song Liling, eine chinesische Schauspielerin, die auf der Bühne „Madame Butterfly“ spielt. Um die aktuellen Diskurse über das Fremde, Rassismus etc. nicht zu vernachlässigen, sprechen beide nach der Vorstellung über Kunst und Rassismus. Während er das Stück nur als „a beautiful kind of music“ sehen möchte, haßt sie die Oper: die Orientalin, die sich für den weißen Herrn opfert, spiegele nur die rassistischen Projektionen der Kolonialisten wider. Er fragt sich, ob man außerhalb des eigenen Kulturkreises fremde Werte überhaupt beurteilen könne. Zunächst gibt sich die schöne Fremde eher spröde, was seine Verliebtheit nur steigert. Sehr schnell kommt man dann trotzdem zu wilden Küssen. „Are you my butterfly?“ – Ja, ja, ja! Drei böse Männer vom französischen Geheimdienst versuchen, die Verbindung zu zerstören. Das klappt nicht; die beiden freuen sich ihrer Liebe. Aus Scham zieht sie sich beim Sex allerdings nie aus und bietet statt dessen halb angezogen „orientalische“ (anal, oral) Genüsse. Alles ist prima: „I am your slave.“ In den schönsten zwanzig Sekunden des Films picknickt das Paar in den bunten Farben maoistischer Propagandaplakate an der chinesischen Mauer; sie gibt vor, schwanger zu sein und trennt sich für eine Weile von ihm, um das Kind auf dem Land zu bekommen. René avanciert – aus welchen Gründen auch immer – zum Vizekonsul. Doch gefährdet ist das Glück: Ständig rennt ein bedrohliches Gewimmel durch die blauumnebelten Gassen der Studiostadt und redet in fremden Zungen (gesichtslose Chinesen haben in dem Film die alten Cronenbergmonster ersetzt); sie ist in Wirklichkeit eine Spionin und verlangt von ihrem Führungsoffizier ein hübsches Baby, um ihren Liebhaber noch besser zu täuschen. Die Lageberichte, in denen er eine Öffnung Chinas gen Westen prognostiziert, erweisen sich als falsch. Statt dessen bedrängt bücherverbrennendes Gesindel den Vizekonsul, der fröhlich auf seinem Fahrrad durchs kulturrevolutionäre Demogewimmel fährt. Wenig später wird René in Schimpf und Schanden entlassen und zurück in die Heimat geschickt.

Da sitzt er dann beim Tee, Paris 68, und trauert seiner Liebe hinterher. Als interesseloses Zitat demonstrieren draußen böse Studenten mit Mao-Postern. Ziemlich unmotiviert taucht plötzlich seine Liebe wieder auf – große Wiedersehensfreude – husch, husch, muß der Film jedoch enden, also werden die beiden, kaum haben sie sich wiedergesehen, wegen Spionage vors Gericht gezerrt. Da stellt sich dann heraus, daß sie in Wirklichkeit ein Mann ist. Im Gefängniswagen zieht sie (also er) sich noch mal aus und möchte poussieren. Doch René schmollt und macht nicht mit. Ein wenig wird noch philosophiert über Schein/ Sein, wahre Selbste und die Liebe. Ganz Frankreich lacht. Song Liling wird ausgewiesen und fliegt trauernd zurück nach China, während zur gleichen Zeit René im Gefängnis eine Vorstellung als Madame Butterfly gibt, an deren Ende er sich die Pulsadern zerschneidet. Cronenberg hat das inzwischen recht modische Thema verunsicherter Geschlechteridentitäten („Crying Games“ etc.) zwar nicht besonders spannend, aber doch unterhaltsam, mit viel teuren Bildern und Geigen inszeniert. Bezeichnenderweise kommen Frauen – das Geschlecht, das es nicht gibt – in dem Film nur am Rande vor.

Das Irritierende, das seine früheren Filme auszeichnete, ist ihm inzwischen fast völlig verlorengegangen. Ein zynischer Rest davon findet sich nur noch in dem leicht verwüsteten, spätdepressiven Gesicht von Jeremy Irons, den man offenbar inzwischen überall hinstellen kann.

Cronenbergs Versuch, sich an „Wirklichkeitsmaterial“ abzuarbeiten, wirkt etwa so irritierend wie eine Eurocard-Reklame. Das „wirkliche“ Paar wurde übrigens 1986 wegen Spionage zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

„M. Butterfly“ Regie: David Cronenberg. Buch: David Henry Hwang. Kamera: Peter Suschitzki. Mit Jeremy Irons, John Lone, Barbara Sukowa u.a. USA 1993, 101 Min.