Der Mensch als Prothesengott

■ „Mediale Anagramme“ der Videokünstlerin Valie Export im Brecht-Haus

Als Valie Export vor 25 Jahren mit ihrem „Tapp-und-Tast-Kino“ durch Wien zog, war die Aktion ein öffentlicher Skandal. Doch die damals auf Trab gebrachte österreichische Zensur konnte nichts ausrichten, denn zu sehen gab es in diesem Kino nichts. Die Künstlerin hatte sich einen riesigen Karton vor die Brüste geschnallt, zwei Löcher hineingebohrt, in die der Zuschauer nicht gucken, sondern greifen sollte. Auf den Boden handfester Grifflichkeit holte Valie Export die Schaulust des Kinogängers einst zurück, indem sie ihm provokativ das Bild entzog und statt dessen den Körper selbst anbot.

Die Verweigerung des Bildes war lange Zeit der Dreh- und Angelpunkt nicht nur der Wiener Aktionistin, sondern der feministischen Ästhetik überhaupt. Zurück zum Körper, lautete das Credo der Sechziger. Für Valie Export war damals ausgemacht, daß der Körper nicht als Bild inszeniert, sondern unmittelbar als Material traktiert werden muß. Wüste Lippenstiftbemalungen quer über den ganzen Leib oder das Zerschneiden von Schamhaaren gehörten damals zum üblichen Bestandteil jeder Performance. Doch die aktionistische Eroberung des Körpers war im Grunde illusionär. Solange die voyeuristische Dreifaltigkeit von Busen, Arsch und Bein die Frau vor dem männlichen Blick zu Fall bringt, ist der angeblich reine Körper als Material eine irrige Utopie. Stets bleibt der Körper Konstrukt des männlichen Blicks, völlig nackt ist er nie.

In den Siebzigern verschiebt Valie Export daher ihre Perspektive und korrigiert frühzeitig den Irrtum einer falsch verstandenen body-art: Statt mit dem eigenen Körper zu experimentieren, geht es jetzt darum, seine kulturellen Codierungen auseinanderzunehmen. Im Zentrum jener Jahre stand „Expanded Cinema“, die Ausweitung des Films zu Environment, Performance und Mixed Media. Die multimedialen Events und Happenings waren freilich nicht neu. Im Grunde war „Expanded Cinema“ die radikalisierte Neuauflage der klassischen Avantgarde, etwa der Textfilme Richters oder Duchamps Rotografien , unter Maßgabe veränderter technischer Standards. Der Unterschied ist allerdings wichtig: Denn nicht mehr das Verhältnis von Kunst und Leben wird in Bewegung gebracht, sondern das von Körper und Technik.

Sinnfällig ist das etwa in Exports Film „Adjungierte Dislokation“ (1973), in dem der Körper zu einer Art beweglichem Stativ mutiert. Einer Darstellerin wurden vorne und hinten zwei 8-mm-Kameras an den Oberkörper gebunden, die gleichzeitig Bilder in entgegengesetzte Richtungen aufnahmen. Die Aktion selbst wurde dann mit einer 16-mm-Kamera abgefilmt, in der Endprojektion waren schließlich alle drei Streifen nebeneinander zu sehen. Wie Export das Verhältnis von Körper und Technik in ihren künstlerischen und theoretischen Arbeiten definiert, so hat es schon Sigmund Freud vorgedacht: Der Triumph der Technik bedeutet letztendlich keine Okkupation, sondern eine Verlängerung des Körpers. Der Mensch als „Prothesengott“ – da ist es nur konsequent, daß Export derzeit an einem Film über Gentechnik arbeitet.

Wie ihre Performances, Installationen und Videofilme halten auch ihre fotografischen Arbeiten stets mit der Technik Schritt. „Mediale Anagramme“ nennt Export ihre neueren Digitalfotografien, von denen das Literaturforum im Brecht-Haus derzeit eine kleine Sequenz ausstellt. In Anlehnung an die Anagrammtechnik der Literatur macht Export mit ihren Bildern genau das, was Unica Zürn einst mit ihrer Sprache und Hans Bellmer mit seinen Puppen taten: Zerlegen, Ersetzen, Vertauschen. Durch rein formale Manipulationen soll der unterschwellige Zusammenhang herausgekitzelt werden, der dem Material innewohnt.

Die Digitalserien der Ausstellung sind das Endprodukt eines medialen Prozesses, dem als Ausgangsmaterial Standbilder aus Exports Videofilm „Stimmen aus dem Innenraum“ (1988) zugrunde liegen. Die Fotos, die Export aus ihm gemacht hat, haben die Technikgeschichte rückwärts durchlaufen. Vom Video in den Computer, von dort aufs Dia, und erst am Ende entsteht dann die Fotografie, die doch historisch am Anfang stand. Exports Inszenierungen des eigenen Körpers sind Inszenierungen medialer Dislokation. Sie bleiben opak und unbestimmt. Zwischen Körper und Bild ist nur ein Prozeß unendlicher Spiegelung, der immer wieder beides auflöst: den Körper und das Bild. Andrea Kern

Bis 23.1. im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Mitte.