■ Das Portrait
: Vandana Shiva

„Heute geht es um das Problem der biologischen Vielfalt. Aber die Menschen vor Ort sind noch nicht wirklich gepackt von dem Verlust, weil der Verlust der biologischen Vielfalt unsichtbar ist. Die Aufgabe besteht nun darin, die genetische Erosion sichtbar und wahrnehmbar zu machen, so daß daraus eine Zielsetzung für eine Bewegung entsteht.“

Die 41jährige indische Physikerin Vandana Shiva hat in den letzten zehn Jahren eine ganze Reihe der ökologischen Probleme, die ihre Heimat am Fuße des Himalaya belasteten, für die Menschen wahrnehmbar und damit angreifbar gemacht. Ökologiebewegung sind für sie nicht die Städter, die sich an ökologischen Einzelproblemen abarbeiten. Ökologiebewegung ist Bewegung von unten, wesentlich getragen von den Frauen, die aus ihrer eigenen unmittelbaren Erfahrung auf den Feldern als erste ahnen, daß die Umwelt stirbt. Ihre eigene Rolle beschreibt sie so: „Wir waren Gefolgsleute. Wir wiederholten, was sie sagten, bloß in etwas gewählteren Worten; und der Kern unseres Tuns kam von den Frauen und ihrer Erfahrung.“

Die Chipko-Frauen, eine Basisbewegung zum Schutz der Himalaya-Wälder vor rücksichtsloser Abholzung, war die erste Station Vandana Shivas auf dem Weg von der Quantenphysikerin mit in den USA erworbenem Doktortitel zurück zu den indischen Landfrauen. Nach dem Schutz der Wälder folgte eine Basisbewegung zum Schutz des Trinkwassers. Landwirtschaft und Gentechnik sind heute die Themen Vandana Shivas.

Shiva greift die Weltsicht des Westens frontal an. „Bis zur letzten industriellen Revolution wurde die Welt der Lebewesen mit Deutungsmodellen aus der Mechanik angegangen. Inzwischen Vandana Shiva erhielt den alternativen NobelpreisFoto: Michael Schwartzkopff

stülpt man andersherum Bilder aus der Biologie den mechanischen Systemen über. Frauen und Natur wurden quasi auf ihre Rolle als Lieferanten von menschlichem und natürlichem ,Rohmaterial‘ verkürzt. Es ist wesentlich, andere Begriffe einzuführen, die jene Kolonisierung nicht zulassen. Die Leute verstehen dann, was da verdreht und gestohlen worden ist.“ Gestern hat die „Right Livelihood Foundation“ ihr und vier anderen Frauen den „Alternativen Nobelpreis des Jahres 1993“ verliehen. Reinhard Wolff