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Auf den Spuren von Chang

Korda trieb Sampras in die totale Erschöpfung  ■ Aus München Matti Lieske

Pete Sampras sah schon im vierten Satz aus, als würde er am liebsten alle Tennisbälle der Welt nacheinander auffressen. Da hatte er im Viertelfinale des Grand Slam Cups den ewigen, nie aufgebenden Quälgeist Michael Chang recht souverän in die Schranken gewiesen, und nun bekam er es im Halbfinale mit einem Petr Korda zu tun, der es noch um einiges ärger trieb als der furchtlose Gottesanbeter aus Kalifornien.

Alles hatte sich gegen Pete Sampras verschworen. Das Publikum erteilte dem Weltranglisten-Ersten die Quittung für sein fehlendes Charisma, seine vermeintliche Überlegenheit, die klinische Präzision seines Spiels, und stand einmütig und lautstark auf der Seite des Außenseiters aus der Tschechischen Republik. Schiedsrichter, Linienrichter und Netzkante legten es darauf an, ihm selten, aber dafür in zentralen Momenten in die Parade zu fahren. Und auf der anderen Seite stand ein Petr Korda, der in den entscheidenden Phasen schier unglaubliches Tennis spielte. Ihm war es vermutlich noch nie widerfahren, daß er von 10.000 Zuschauern frenetisch angefeuert wurde. Als graue Tennismaus hatte er sich in die Top ten geschlichen, und als er letztes Jahr beim ATP-Finale auftauchte, rieben sich alle erstaunt die Augen, weil keiner gemerkt hatte, daß der 25jährige Linkshänder so weit vorn stand. Seither blieb Korda in der Spitze, worauf er ständig selbst hinweisen muß, sonst nimmt es niemand zur Kenntnis. Wegen einer Herzerkrankung und anderer Gebrechen rutschte er in diesem Jahr auf Rang 12 ab, hat aber, „wenn ich gesund bleibe“, für 1994 große Dinge vor.

Daß dies keine eitlen Träume sind, zeigte er gegen Sampras. Korda verfügt über keinen speziellen Schlag, mit dem er punkten kann, doch alles, was er macht, hat Hand und Fuß. Jedesmal wenn der Amerikaner dachte, das Match endlich im Griff zu haben, rauschten plötzlich die Bälle links und rechts an ihm vorbei, kamen auf seine krachenden Aufschläge Returns geflogen, wie er sie sonst selten zu Gesicht bekommt. Ein Break hatte Sampras im vierten Satz voraus, dann im Tie-Break eine 4:1-Führung bei zwei eigenen Aufschlägen drei Matchbälle und noch zwei Matchbälle im fünften Satz. Doch jedesmal zog Korda den Kopf aus der Schlinge, beste Schläge des Amerikaners kamen wie mit einem Katapult geschleudert zurück, und der 22jährige, der ohnehin immer dreinschaut wie ein deprimierter Beagle, hatte schlicht die Schnauze voll.

In den Wochen vor der Münchner Veranstaltung hatte Sampras nach eigenem Bekunden mehr Golf als Tennis gespielt, und am Schluß, als der fünfte Satz, bei dem es keinen Tie-Break mehr gab, nicht enden wollte, bereute er vermutlich, es nicht wie Jim Courier gemacht zu haben, der lieber daheim in Florida geblieben war, damit allerdings auf mindestens 350.000 Dollar verzichtet hatte. Die Kraft war weg, dem Weltranglisten-Ersten ging es zunehmend dreckiger. Trotzdem führte er bei 4:3-Führung noch einmal 40:0, aber wieder entkam ihm Korda. Und während das Publikum immer ausgelassener klatschte und tobte, fiel der Tscheche auf die Knie und faltete die Hände, als sei er Michael Chang. „Gott hat für alles einen Zeitplan“, hatte dieser tags zuvor behauptet, an diesem Samstag war der Name Korda auf diesem Plan offensichtlich dick unterstrichen.

Dann schien das Match entschieden, als der von Krämpfen geplagte Korda gegen den erschöpften, von Übelkeit geplagten und fast bewegungsunfähigen Sampras das Break zum 9:8 schaffte. Da ritt plötzlich den Amerikaner der Teufel und in einem Anfall von Selbstzerstörung gelang ihm irgendwie der Ausgleich. Dann suchte er die Kabine auf, kam noch einmal wieder, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, gewann noch zwei Aufschlagspiele, wirkte aber so erbarmungswürdig, daß sogar das Publikum Mitleid mit ihm bekam und den Jubel für Korda dämpfte. Fast regungslos gab Sampras die Spiele zum 11:13 ab, doch auch Korda hatte nach viereinhalb Stunden kaum noch Kraft, sich zu freuen. „Es ist nicht gut für meinen dürren Körper, wie die Hölle zu rennen“, sagte er, nachdem er sich in die Pressekonferenz geschleppt hatte. Sampras blieb verschollen. Sein großartiges Tennisjahr hatte ein unerwartet desaströses Ende gefunden, aber er mag sich mit der Aussage von Michael Stich trösten: „Wenn er weiter so spielt wie letzte Saison, ist er unerreichbar.“ Unschlagbar, das bewies Korda, allerdings nicht.

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