: Gewalt gehört zum Alltag...
■ Prozeß gegen einen zweifachen Kindesmörder
Der 33jährige Gartenbauarbeiter geht sich selbst und seiner Erinnerung mit allen Mitteln aus dem Weg. Der unter Mordanklage Stehende soll im April dieses Jahres zwei seiner drei Kinder erwürgt haben. „Wenn das wahr ist, möchte ich nicht mehr leben“, erklärte er gestern vor einem Hamburger Schwurgericht. Schon vor der Tat hatte er in einem Schreiben an das zuständige Amt für Soziale Dienste kapituliert: „Ich bin am Ende.“ Nach dem Tod der Kinder hatte er versucht, sich umzubringen.
Der Brief traf bei den Luruper Behörden erst nach dem Tod der vier und sechs Jahre alten Kinder ein. Die Frau des Angeklagten war zur Tatzeit in einem Frauenhaus. Die Situation der Familie in der engen Wohnung glich dem, was sich in vielen Familien abspielt, deren immense Verschuldung stetig wächst: Mann und Frau hatten ständig Streit. Mehrmals suchte die 33jährige Zuflucht im Frauenhaus, wenn ihr Mann sie mißhandelt hatte. „Sie rückte nie damit 'raus, wo das Geld geblieben war“, beschuldigte der Mann seine Frau jetzt vor Gericht. Er selbst habe „wohl zuviel gepöbelt“, könne sich aber nicht vorstellen, warum seine Frau „ins Frauenhaus abgehauen“ ist.
Als die 33jährige Verkäuferin die Scheidung einreichte, bekam er zunächst das Sorgerecht. Als er die Kinder von einem Besuch bei der Mutter abholte, war sie in Begleitung eines jungen Türken. Als seine sechsjährige Tochter ihm abends ankündigte, „wir werden bald für immer wegfliegen“, bekam er Angst, die Kinder zu verlieren. Vor Gericht verlor er gestern beinah die Fassung, als er berichten mußte, wie er seinem kleinen Sohn die Wäscheleine um den Hals legte...
„Wenn wir alle Kinder als extrem gefährdet ansehen würden, die zu Hause geschlagen werden, müßten wir in Lurup 35 Prozent der Jungen und Mädchen evakuieren“, weist der zuständige Jugend- und Sozialdezernent Hartmut Hoins alle Vorwürfe an die Behörden zurück. „Gewalt gehört in den Familien häufig dazu“, so Hoins zur taz. Für die Soialarbeiterinnen sei diese Eskalation beim besten Willen nicht voraussehbar gewesen. Wenn Nachbarn, Ämter und Eheleute sich jetzt gegenseitig vorhalten, falsch gehandelt zu haben, kommt diese Auseinandersetzung für die Kinder zu spät. Der Prozeß wird morgen mit der Vernehmung der 33jährigen Ehefrau fortgesetzt. pr
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen