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„Zuhause fressen sie Gras“ Gras“ieGrGrasMenschen Gras“

■ Der Bosnier Ljubo Pendic, der in Achim eine Gaststätte betreibt, fuhr in seine Heimat

„Meine Verwandten kommen aus Zentralbosnien“, sagt Ljubo Pendic, „sie sind in Sarajewo eingekesselt“. Ljubo Pendic lebt seit 1978 in Bremen, er hat hart gearbeitet und betreibt inzwischen ein Restaurant in Achim. Pendic kann seit Monaten das ohnmächtige Gefühl der Tatenlosigkeit kaum ertragen. An einem trüben Sonntag im November startete er zu einer Reise nach Bosnien in die Region um Travnik, um dort gespendete Medikamente, warme Decken und Nahrungsmittel zu verteilen.

Die Reise war bis ins Detail geplant, dennoch war ihm ein bißchen bang, als er losfuhr: „Ich will meine Frau und die Kleine wiedersehen.“

1.700 Kilometer sind es bis zur kroatischen Hafenstadt Split. Ljubo Pendic fuhr mit einem alten Sanitäts-Unimog mit Vierradantrieb und allerlei medizinischem Gerät. „Die Ausrüstung war spartanisch“, erzählt er fast verlegen, „aber für die Berge genau das Richtige“. Wenn alles geklappt hätte, wäre er in 48 Stunden in Split gewesen. Aber nichts klappte. In den Alpen bricht der Schnee über dem Unimog hinein, das ausgeleierte Verdeck kann nicht mehr vor Kälte schützen. Der Wagen ist schließlich 1960 vom Band gelaufen und schluckt 30 Liter Benzin.

Wer glaubt, Hilfstransporte brauchten keine Maut zu bezahlen, der wird hier eines Besseren belehrt: 35 Mark kassiert der korrekte Mann für die Benutzung von Österreichs Autobahn.

Am zweiten Tag tauchen dann im mondblau getönten Schneeweiß die Gebäude der slovenischen Grenzkontrolle auf und der Parkplatz, den alle Grenzgänger so fürchten. Ein kleiner Wagen für die Kleiderablage, ein Spiegel, eifrig kramende Hände, ein scharfer Ton des Zöllners: „Die Konserven muß der Amtsarzt untersuchen. Keine Weiterfahrt vor morgen früh.“ Widerwillig packt Pendic von jedem etwas auf das kleine Wägelöchen. „Noch etwas Schokolade für die Kinder?“ „Ja, bitte.“ „In meiner Heimat fressen die Menschen Gras“, flüstert Pendic.

Am nächsten Morgen ist der vollgepackte Sanitätsunimog in Rijeka, die Fähre nach Split fährt dort los. Der Weg über die Magistrada, die alte Küstenstraße runter nach Dubrovnik, ist zu gefährlich, dort bei der Stadt Sibenik liegen die Serben in den Bergen.

Das Industriegebiet TTTS-Dalmex liegt vor Rijeka. Dort ist Pendic am Ziel seiner Fahrt. Überall stehen LKW's aus allen Herren Ländern, werden be- und entladen. Frauen und Männer aus Frankreich, Finnland und Großbritannien leisten humanitäre Hilfe. Pater Bozidar Blazevic, Direktor der Hilfsorganisation „Antoniusbrot“, begrüßt den Neuankömmling. „So einen Transporter suchen wir schon lange“, freut er sich über den Unimog.

Schrill piept es unter seiner Kutte, der Walki- Talki. Am anderen Ende der Leitung ist die Uno, ein Konvoifahrer, der sich verirrt hat. „Uns wurde UN- Schutz genehmigt“, platzt der Kirchenmann stolz heraus. „Die Engländer werden uns einen Weg nach Nova Bila bahnen, notfalls auch mit ...“ Seine Stimme stockt. Mit Waffengewalt? Mit der Hilfe des Herrn? Der Pater stutzt nur kurz, stürzt sich wieder in die Arbeit. Ljubo Pendic macht sich auf den Weg zurück.

Zwei Tage später startet ein Konvoi mit dem Unimog und über 50 Fahrzeugen unter dem Schutz von britischen Blauhelm-Soldaten in Richtung Bosnien.

Axel Köhler

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