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„Das Obst ist eine Falle“

■ Sozialbehörde: Flüchtlinge auf Wohnschiff „Altona“ essen heimlich / Ärztin: eindeutig Anzeichen von Hungerstreik   Von Kaija Kutter

„Krank ist da überhaupt keiner.“ Es sei zwar ein Notarzt dagewesen, aber, „da hat keinem was gefehlt.“ Sichtlich unzufrieden mit der Berichterstattung des vor sechs Tagen begonnenen Hungerstreiks war gestern die Sozialbehörden-Sprecherin Christina Baumeister. Die taz hatte gestern einen Spendenaufruf des „Antirassistischen Telefons“ veröffentlicht, wonach Geld für Medikamente und Mineralwasser benötigt würden. „Da ist kein Wasser aufs Schiff zu bringen. Auch keine Medikamente“, sagte Baumeister gestern zur taz. „Und zu essen bekommen sie auf den Schiffen genauso.“ So seien Teile der Hungerstreikenden in der Kantine des Nachbarschiffs „Kalmar“ beim Essen gesehen worden.

Die Pressesprecherin revidierte ihre Auskunft im Lauf des Nachmittags. Doch, es sei ein Algerier ins Krankenhaus gekommen. Wegen einer Grippe. Aber das habe „mit dem Hungerstreik nichts zu tun“. Der Unterkunftsleiter habe gerade wieder Tee und Obst in die besetzte Kantine gebracht. Fazit der Sozialbehörde: „Einen Hungerstreik gibt es nicht.“

„Das Obst war eine Falle, um uns zu demoralisieren“, sagen dagegen drei Vertreter der Flüchtlingsgruppe, holen die Obstkisten aus der Kantine, um zu zeigen, daß sie nichts davon gegessen haben. Lediglich der Kranke habe am Abend zuvor auf Anweisung eines Arztes eine Frucht zu sich genommen. Es seien nach wie vor 28 Personen im Hungerstreik. Auch sei nicht wahr, daß sie heimlich in der Nachbarkantine gegessen haben. „Ich wünschte, daß ein Journalist die ganze Zeit bei uns wäre und mit uns erlebt, was wir durchmachen“, sagte ein junger Algerier.

Doch steht die Behauptung der heimlichen Nahrungsaufnahme erstmal im Raum und ist schwer zu widerlegen. Die Ärztin Katja Gundelach, die Mittwoch abend zusammen mit einem Kollegen die 28 Flüchtlinge untersuchte, stellte allerdings typische Symptome eines Hungerstreiks fest. „Sie frieren leicht, haben Kreislauf- und Magenprobleme“. Auch hätten sie viel zu wenig Flüssigkeit zu sich genommen und müßten dringend Nierentee und Abführtee trinken.

Bis Mittwoch abend seien sie von keinem Arzt untersucht worden, sagen die Flüchtlinge. Lediglich für den Kranken sei am Wochenende ein Doktor gekommen. Der Mann war Mittwoch abend von einem Notarzt untersucht worden, der dem Wachpersonal gegenüber erklärte, der Patient sei gesund. Als Katja Gundelach ihn abends um zehn noch einmal untersuchte, habe er „Nierenschmerzen, Bauchkrämpfe und Schüttelfrost gehabt“. Die Ärztin brachte ihn ins AK Altona, von wo aus er gestern abend wieder entlassen wurde. Da die Flüchtlinge Vertrauen zu dieser Ärztin haben, wurde mit dem Unterkunftsleiter Norton vereinbart, daß sie die Gruppe täglich besucht.

Gestern abend wurde ihr dann aber der Zutritt aufs Schiff verweigert. „Anweisung von ganz oben“, sagten die Wachposten. Und Christina Baumeister: „Wir haben da einen Arzt. Es braucht sich keiner zu kümmern.“ Deeskalation mit allen Mitteln, scheint die Linie des Senats zu sein, der dem Problem nach der versäumten Kantinen-Räumung am Dienstag (Sozialsenator Runde wollte so nicht gehen, seine nachfolgerin Fischer-Menzel so nicht anfangen) hilflos gegenübersteht. Baumeister: „Es gibt keine Verhandlungen, weil keine Forderung erfüllbar wäre.“ In dieser Situation werden die Unterstützer, speziell das „Antirassistische Telefon“, verantwortlich gemacht. Baumeister: „Die mißbrauchen die Flüchtlinge für ihre Zwecke“.

Doch die Flüchtlinge beharren darauf, daß die Aktion selbstorganisert sei: „Wir sind keine Kinder mehr, wir sind erwachsen, wir wissen, was wir tun.“

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