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Geregelter Schauspielerverkehr

■ Spielfreude verboten – Fritz Marquardt hat „Juno und der Pfau“ von Sean O'Casey im Berliner Ensemble totinszeniert

Irgendwann in der zweiten Stunde des Theaterabends, als ein Teil des Publikums bereits erschöpft tief in die Sitze gerutscht ist, wird auf der Bühne gebetet. „Herr, nimm von uns die steinernen Herzen“, erkennt eine Nebenfigur messerscharf das Problem des Lebens im allgemeinen und des Schauspiels im besonderen, „und gib uns Herzen aus Fleisch.“ Doch weder der Herr noch die anderen erhören sie, und so quält sich das Drama im Berliner Ensemble über die dritte Stunde fort – bis zum bitteren Ende.

Eine Proletarierfamilie geht vor die Hunde. In der bösen Zeit des irischen Bürgerkriegs erlebt das Ehepaar Juno und Jack (Spitzname der „Pfau“) eine kurze gute Zeit, in der sie whiskylustig von einer Erbschaft träumt und wohlstandshysterisch auf Pump neue Möbel kauft, bevor es jäh in die Katastrophe abstürzt. Ihr Sohn Johnny verliert nach seinem Arm auch noch, als Bürgerkriegs-Verräter enttarnt, sein Leben; Tochter Mary bekommt ein Kind, aber keinen Mann dazu, und zieht nun mit der Mutter zur Tante, während der Säufer und Schwadroneur Jack mit leeren Taschen, leeren Flaschen in der leeren Wohnung hockt und den Weg nach unten resümiert: „Die Welt ist ein Chassis.“ Womit er, frei interpretiert, sagen will: die Welt ist im Arsch.

Sean O'Casey hat sein Stück sicherheitshalber „Tragödie“ untertitelt, denn man hätte auch denken können, es handele sich trotz Arbeitslosigkeit und Glaubenskrieg um ein burleskes Satyrspiel. So kühn mischt der Ire Trauer und Jux, Ernüchterung und Poesie, verzweifeltes Schreien und fröhliches Singen, daß das Leiden immer von Lachen und das Lachen von Leiden abgelöst wird und die Lektüre an eine Achterbahnfahrt auf dem Rummel erinnert. Nichts davon ist im Berliner Ensemble zu spüren. Fritz Marquardts Inszenierung verbreitet eher die Gefühle, die man beim Fahrstuhlfahren hegt. Es geht bei ihm zwar auch rauf und runter, aber so steif und muffig, als bestehe der Sinn nur darin, überhaupt anzukommen, sprich: ein paar richtige Sätze, die ein bisserl zum Elend in Berlin oder Bosnien passen, aufzuführen. Vorzeigetheater nennt man das wohl, wenn die Schauspieler mit Herzen aus Stein auf der Bühne stehen und Haltungen zeigen.

Allen voran Juno, die Mutter, das Muttertier, die eigentlich die Handlung in Schwung bringen müßte. Hier mimt Christine Gloger Juno so beweglich wie eine Schutzpolizistin an einer ausgefallenen Ampelanlage. Die Arme versteift wie Signale, steht sie zumeist etwas erhöht inmitten der von Hans-Joachim Schlieker aus grauen Versatzstücken zusammengestellten Arme-Leute-Wohnung und regelt den Schauspielerverkehr. Abstand halten, heißt ein Gebot mit der ausgestreckten Linken. Möglichst nicht zusammenspielen ein zweites. Spielfreude verboten ein drittes, mit verschränkten Armen und Halt gebietenden Augen. Kein Wunder, daß die beiden Komödianten des Stückes, der „Pfau“ (Dieter Montag: breit und tranig) und sein Whiskybruder Joxer (Hermann Beyer: schmal und windig) nicht richtig in Fahrt kommen: ganz gleich, ob sie alkoholbefeuert von alten Geschichten schwärmen oder mit aufgespanntem Regenschirm durchs Fenster turnen. Gegen die Polizei ist nun mal kein Witz gewachsen. Dirk Nümann

„Juno und der Pfau“ von Sean O'Casey. Regie: Fritz Marquardt. Ausstattung: Hans-Joachim Schlieker. Mit Dieter Montag, Hermann Beyer, Christine Gloger, Carmen-Maja Antoni u.a. Wieder am 22. und 27.12., 19.30 Uhr, BE, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte.

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