: Zwangspässe für Bosnier
■ Ab 1.1. werden Kriegsflüchtlingen aus Ex-Jugoslawien Nationalpässe verordnet
Hamburg (taz) – Am 31. Dezember dieses Jahres erlischt die Gültigkeit der jugoslawischen Pässe für bosnische Kriegsflüchtlinge. Flüchtlinge aus Bosnien- Herzogowina werden deshalb zur Zeit in fast allen Bundesländern von den Ausländerbehörden aufgefordert, sich einen bosnischen Nationalpaß zu besorgen. In Hamburg, wo rund 10.000 Flüchtlinge aus dem bosnischen Kriegsgebiet leben, kommt derzeit Protest gegen diese Regelung auf. „Den Menschen, die sich noch als Jugoslawen fühlen, wird dieses Gefühl kaputtgemacht“, sagt Milo G. vom Hamburger „Jugoslawien-Komitee“, einem Zusammenschluß von deutschen und Exil-Jugoslawen, die an der Idee der Einheit des einstigen Vielvölkerstaates festhalten wollen. Milo war kürzlich mit seiner in Tuzla geborenen Nichte auf der Hamburger Ausländerbehörde. Wenn sich die 16jährige keinen bosnischen Paß besorgen würde, so habe ihm dort der Sachbearbeiter erklärt, käme die Ausländerpolizei zu ihm nach Hause und würde das Mädchen abholen.
„Der bosnische Paß mit dem Symbol der Lilie ist für uns ein muslimischer Paß“, sagt Milo, der seit 25 Jahren in Hamburg lebt und ein kleines Taxiunternehmen betreibt. Er sei aber nicht religiös. Und er sei auch nicht bereit, sich für eine Ethnie zu entscheiden: „Wenn ich mir meine Familie angucke. Da gibt es Kroaten, Makedonier, Bosnier, alles durcheinander. Das kann man nicht teilen.“
„Der deutsche Staat zwingt die Menschen, sich zu entscheiden“, sagt auch Zravko S., Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien. Auch seinen Verwandten wurde auf der Behörde mit Abschiebung gedroht. Der Grafiker hatte früh am Morgen Flugblätter vor der Ausländerbehörde verteilt, wo die Kriegsflüchtlinge stundenland anstehen müssen, um ihre Duldungen verlängern zu lassen. „Die Leute können sich nicht dagegen wehren, weil sie die Gesetze und die Sprache nicht kennen.“ Mit den Worten „Du hier unterschreiben“ würde ihnen ein Papier in die Hand gedrückt, auf dem steht: „Mir wurde heute erklärt, daß ich mir einen Nationalpaß besorgen muß.“
Der Zwang, sich für eine Ethnie zu entscheiden, führe zu „Spannungen in den Flüchtlingsunterkünften“, konstatiert auch Ulrich Zuper von der Arbeiterwohlfahrt, Abteilungsleiter für den Bereich Unterbringung. Zusammen mit der Caritas hat die Arbeiterwohlfahrt jüngst einen Situationsbericht zur Lage der bosnischen Flüchtlinge herausgebracht, in dem die Paßpflicht als hochproblematisch dargestellt wird. Das Dokument beinhalte ein Bekenntnis zum bosnischen Staat und damit auch zur Kriegspartei der Moslems. Dies sei angesichts des andauernden Kriegszustandes für viele „unzumutbar und mit persönlichen Gefährdungen verbunden“. Laut Ausländergesetz, so der Hinweis der Arbeiterwohlfahrt, genügt ein Ersatzpapier mit Lichtbild, wenn der Ausländer den Paß nicht in „zumutbarer Weise“ erlangen kann.
Der Hamburger Senat halte die Beantragung eines bosnischen Passes für „zumutbar“, auf die „ethnische Zugehörigkeit oder seine Indentifikation mit dem neuen Staat kommt es nicht an“, hieß es dagegen Ende Oktober in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Hamburger GAL-Abgeordneten Anna Bruns. Die Grünen-Politikerin vermutet eindeutige Motive hinter der rigiden Verfahrenweise: „Die wollen wissen, wohin sie die Leute abschieben können.“ Denn dies geht nur, wenn der Heimatstaat bekannt ist. Kaija Kutter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen