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Mit hohem Tempo, doch ganz ohne Drive

■ In Köln wurde Marlene Streeruwitz' neues Stück „Ocean Drive.“ uraufgeführt

„Alles wird verkäuflich und kaufbar“, wußte schon Karl Marx. Der Macht des Geldes „widerstehen nicht einmal Heiligenknochen und noch viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra commercium hominum.“ Zu den minder groben geheiligten Dingen gehört in Marlene Streeruwitz' neuem Stück die Objektivität eines Journalisten, die gröberen heiligen Dinge werden vertreten durch einen vergletscherten Berggipfel: Nichts ist außerhalb des Handels der Menschen.

Die steinreiche Schauspielerin Elizabeth Maynard kauft sich auch noch einen Berg und einen Biographen. Die Szenerie des Stückes ist trotz des wieder nur von der Autorin zu entschlüsselnden Titels „Ocean Drive.“ die Eiswüste des Hochgebirges. Dort treffen sich Filmstar und Journalist in aller Abgeschiedenheit. Doch, wie zu erwarten, kommen allerhand Figuren aus der Weltliteratur zu dem einsamen Gipfeltreffen hinzu, vor allem Karl Graf Bühl aus Hofmannsthals „Der Schwierige“, der sich auf seine alten Tage als Yeti- Darsteller bei der staatlichen Tourismusförderung verdingt hat, und ein höllisch kalter Mephisto in der Rolle des mafiosen Drogenhändlers, der sich auch als Ödipus ohne Reue präsentiert. Das eisige Refugium der alternden Diva, mit dem sie sich den letzten Rest unberührter Natur glaubt gesichert zu haben, ist schon an eine Tourismusentwicklungsgesellschaft vergeben worden und ihr Firmenimperium bereits durch feindliche Übernahme von dem Drogenboß aufgekauft. „Das Geld ist aber selbst Ware, ein äußerlich Ding, das Privateigentum eines jeden werden kann“, heißt es dazu im „Kapital“.

Marlene Streeruwitz hat eine hübsch grausige Farce über die universale Käuflichkeit und den Zynismus aller humanitären Beschwichtigungsversuche geschrieben. Alles ist käuflich, nur die Liebe nicht; auch dieser Topos der Trivialliteratur wird aufgegriffen und ironisch demontiert. Aufgrund eines Mißverständnisses bleibt der Helikopter aus, der das Paar abholen sollte. Verdammt zum Erfrieren im ewigen Eis, verlieben sich Käuferin und Gekaufter ineinander. Doch schließlich sticht die Verzweifelte ihrem Liebhaber die Augen aus. Grausamkeit muß sein. Wir sind in einem Stück von Streeruwitz.

Die überraschende Qualität der Stücke, die Marlene Streeruwitz nach dem immergleichen Strickmuster zunächst jahrelang für die Schublade produziert hat und die sie jetzt zur erfolgreichsten neuen Theaterautorin auf deutschen Bühnen gemacht haben, ist, daß sich unter der Montage von Trivialgeschichten und Kulturzitaten bei strikter Verweigerung jeglicher realistischer Psychologie doch ein erkennbar durch Lebenserfahrung relativierter moralischer Impuls findet. Auch die völlig synthetische, lächerliche Figur der Elizabeth Maynard hat Sätze wie diese: „Ich wollte, daß kein Mensch sich mehr von mir erholt. Ich wollte.“

Mit Torsten Fischer als Uraufführungsregisseur hatte Marlene Streeruwitz Glück, bisher. Nach zwei mustergültigen Inszenierungen am Kölner Schauspiel gelingt ihm nun nichts. Die Farce ist nicht komisch, die Tragödie ist nicht traurig. Wie bei seinen anderen beiden Erstinszenierungen hält er sich genau an die Anweisungen der herrischen Dame. Doch die Direktheit und Heftigkeit der Inszenierungen von „Waikiki Beach“ und „Sloane Square“ fehlen diesmal. Mit hohem Tempo, aber ohne Drive wird das Stück heruntergespielt. Gertrud Roll als Elizabeth Maynard spielt die durchtrainierte Machtfrau mit bravourösem Einsatz, doch das ist zu wenig bei einem Stück, das bizarre Bilder braucht und Leichtigkeit und Witz, trotz aller Metzelei. Ernst-August Schepmann als Yeti, der Schwierige kann zwar altmodisch große, gräfliche Gesten machen, doch fehlen ihm die müde Milde und der schüchterne Charme von Kari, dem Wiener Herzensbrecher.

Die neue Spielstätte des Kölner Schauspiels, die Halle Kalk, wird nur als normale Guckkastenbühne genutzt. Auf ihr steht die riesige Stahltreppe der abgespielten Inszenierung der „Dreigroschenoper“, diesmal mit etwas Kunstschnee bestreut und garniert mit verrotteten Kühlschränken, einer Palme und einem amerikanischen Straßenkreuzer. Statt der „Idylle in Weiß und Himmelblau“, die die Szenenanweisung als Spielort fordert, aus Dispositionsgründen symbolische Abstraktion. Sparzwang herrscht also auch hier, wo dem Kölner Schauspiel doch mit der Eröffnung der neuen Halle eine Gegenoffensive gegen die allgegenwärtige Schließungsangst gelungen schien. So wird das neue Gipfelwerk der Bühnenkunst zum Treppenwitz. Gerhard Preußer

Marlene Streeruwitz: „Ocean Drive.“; Kölner Schauspiel (Halle Kalk). Inszenierung: Torsten Fischer. Bühne: Jens Kilian. Mit Gertrud Roll, Dieter Bach u.a. Weitere Vorstellungen: 26., 29. und 30. Dezember; 14., 18., 23., 25., 27. und 30. Januar 1994.

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