: „Klöckner, ein Auslaufmodell“
■ Stahlexperte sieht keine Zukunft für die integrierte Hütte in Bremen
Helmut Horn ist als Professor für Werkstoffkunde und Schweißtechnik an der Fachhochschule Hamburg ein ausgewiesener Experte der Stahlbranche. Zuvor war er zehn Jahre als Werkstoffwissenschaftler am Bremer Frauenhofer-Institut beschäftigt. Ehrenamtlich ist er Mitglied im „Bremer Arbeitskreis Energie“, der sich in der letzten Zeit insbesondere gegen einen Verkauf der Stadtwerke ausgesprochen hat.
taz: Je nachdem wie man rechnet, gibt der Bremer Staat für die Klöckner-Lösung schon in der ersten Stufe zwischen 180 und 250 Millionen Mark aus. Lohnt sich das?
Helmut Horn: Wenn das bisherige Modell des Bremer Klöckner-Werks einfach weitergeführt wird, dann lohnt es sich nicht. Dessen Zukunftsaussichten sind sehr trübe.
Warum?
Weil bei der Entwicklung auf dem Stahlmarkt absehbar ist, daß ein integriertes Hüttenwerk in dieser Größenordnung kaum Überlebenschancen hat. Klöckner stellt Flachprodukte her, Tiefziehstahl...
...das heißt Bleche?
Ja, wobei Klöckner aus der großen Bandbreite der Bleche solche herstellt, die qualitativ sehr hochwertig und im wesentlichen für die Automobilindustrie bestimmt sind. Und das ist das erste Problem. Es wird sicher nicht so sein, daß die Autoindustrie in den nächsten Jahren einen Boom hat. Und man muß sehen, daß Audi jetzt mit einem PKW rein aus Aluminium eine neue Entwicklung eingeleitet hat. Es wird darauf hinauslaufen, daß der Blechanteil im Automobil weiter gesenkt wird.
Das zweite ist, daß mit der EKO-Stahl-Lösung für Klöckner im gleichen Marktbereich ein ernstzunehmender Konkurrent auftritt. Und die Entwicklung im Stahlmarkt wird unumstritten in den nächsten Jahren von den integrierten Hüttenwerken weggehen. Es wird weiterhin einige integrierte Hütten geben, aber zunehmend werden sogenannte „Mini-Stahlwerke“ entstehen. Das ist auch bei EKO geplant. Und die können mit maximal 1.500 Leuten betrieben werden, und nicht mit 4.000 wie hier bei Klöckner in Bremen.
Und könnte Klöckner zum Mini-Stahlwerk werden?
Im Prinzip ja, allerdings nicht unter den Prämissen, die zur Zeit verfolgt werden. So wie das Stahlwerk heute aufgebaut ist, braucht es mindestens 4.000 Arbeitsplätze. Und wenn man daraus ein Mini-Stahlwerk machen will, müßte man das sukzessive neu bauen, was mit erheblichen Investitionen verbunden ist, und man müßte auf 2.500 Arbeitsplätze verzichten. Aber so wie Klöckner heute arbeitet, ist es ein Auslaufmodell.
Wenn das so ist, warum sollte dann Sidmar Interesse haben, in Bremen mit 200 Millionen Mark einzusteigen?
Man müßte mal abschätzen, wie hoch das unternehmerische Risiko von Sidmar tatsächlich ist. Denn wenn sie kein Risiko eingehen, können sie sich natürlich gelassen beteiligen. Und kein Risiko würden sie zum Beispiel dann eingehen, wenn im Falle eines Konkurses aufgrund von Stillegungsprämien der EG Sidmar trotz allem noch einen Gewinn macht. Das ist möglich.
Bisher ist ja nie gesagt worden, aus welchem Grund Sidmar eigentlich Interesse an einer Beteiligung in Bremen haben sollte. Das würde ich gerne mal hören. Es gibt sehr wenig, was vorstellbar ist. Wenn Sidmar, wie es heißt, das Kaltwalzwerk schließen will, kann es daran nicht interessiert sein. Am Warmwalzwerk kann Sidmar überhaupt kein Interesse haben, denn gerade in diesem Bereich gibt es die großen Überkapazitäten.
Bleibt noch der Hochofen.
Der kann für Sidmar keinen Sinn haben. Das ist das Unbedeutendste in der ganzen Stahlverarbeitung. In den Wirtschaftlichkeitsgutachten soll ja mit einem Rohstahlpreis von über 600 Mark die Tonne gerechnet worden sein. Und das ist ein Preis, der zur Zeit einfach nicht erzielt wird. Daß Sidmar auf einen Gewinn bei Klöckner spekuliert, ist deshalb eigentlich ausgeschlossen.
Und der Standort und die Kunden von Klöckner, könnte die für Sidmar interessant sein?
Der Standort bestimmt nicht. Aber daß Sidmar als Lieferant in die deutsche Automobilindustrie hineinwill, das kann schon sein. Und Klöckner hat eine sehr interessante Feuerverzinkungsanlage anzubieten. Einzelne Klöckner-Komponenten könnten für Sidmar durchaus Sinn haben, aber das Stahlwerk als solches nicht.
Vor einigen Monaten ist das ökologische Argument für Klöckner ins Feld geführt worden. In Bremen sei soviel in den Umweltschutz investiert worden, daß es keinen Sinn hätte, ausgerechnet dieses hochmoderne Werk zu schließen, und die Dioxinschleudern im Ruhrgebiet weiterzubetreiben.
Das ist sicher richtig, Klöckner ist ein hochmodernes Werk. Unter diesem Aspekt blutet einem natürlich das Herz. Aber man muß zwei Sachen trennen. Die Frage, ob es wünschenswert wäre, Klöckner weiter zu betreiben, kann man sicher ohne weiteres bejahen. Nur muß man auch die Frage stellen, ob es angesichts der Marktlage sinnvoll ist, dieses Werk zu betreiben. Und da sieht es anders aus.
Der billige Stahl, der die Masse bringt, der wird zunehmend aus dem Osten geliefert. Es wäre ganz falsch, wenn man aus nationalen Interessen den Markt nach Osten abschotten würde. Denn der Stahl ist eines der ganzen wenigen Sachen, wo diese Länder tatsächlich etwas anbieten können, was auch gekauft wird. Wir müßten doch alle daran interessiert sein, die wirtschaftliche Entwicklung im Osten etwas abzustützen, dann kann man dieses Segment in der Bundesrepublik nicht halten.
Das heißt, für die Bundesrepublik würden Edelstähle übrigbleiben. Und die müßten in kleinen Hüttenwerken produziert werden. Oberflächenbeschichtungen, das ist die künftig gefragte Hochtechnologie auf dem Stahlmarkt, und auf die sollte die Bundesrepublik setzen. Aber der Sektor der einfachen Stähle wird verloren gehen.
Könnte das Bremer Klöckner-Werk in diesem High-Tech-Bereich des Stahls seine Zukunft finden?
Ja, das würde Sinn machen. Aber das wären keine 4.000 Arbeitsplätze mehr, sondern höchstens 1.500. Das wäre eine handhabbare Größe, die an diesem Standort auf den Markt passen würde.
Aber sehen Sie bei dem Bremer Interessentenmodell plus Sidmar überhaupt eine Möglichkeit, sich in diese Richtung zu entwickeln?
Ich will das nicht ausschließen. Aber das würde Investitionen von mindestens 600 Millionen Mark bedeuten und eine völlige Umkonstruktion des gesamten Werkes.
Und wieviele Jahre geben Sie Klöckner noch für den Fall, daß es nicht in diesem Sinn umstrukturiert wird?
Ungefähr fünf.
Fragen: Dirk Asendorpf
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