: Milchmonopol durch Bauerntrick
Die bayerische Müller-Milch reißt sich sächsischen Milchmarkt unter den Nagel / Verfehlte Förderungspolitik der Landesregierung ■ Von Klaus Wittmann
Dresden/Aretsried (taz) – Es ist ein klarer Fall für das Kartellamt, und die Warnlampen dort leuchten bereits: Der Milchbaron Theo Müller wird aller Voraussicht nach die Sachsenmilch übernehmen. Das jedenfalls schlug am Mittwoch ein Ausschuß vor, der von den Gläubigern des im Sommer pleite gegangenen Betriebs beauftragt wurde.
Der bereits als skrupelloser Unternehmer weitbekannte Theo Müller hat einmal mehr demonstriert, wie simpel es auch heute noch ist, eine Monopolstellung mit staatlicher Förderung zu erreichen. „Betrogen fühlen sich Verbraucher in Sachsen und ebenso die Milcherzeuger“, klagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und agrarpolitische Sprecherin vom Bündnis 90/ Grüne im sächsischen Landtag, Kornelia Müller. Was sie vor allem aus der Fassung bringt, ist die dreiste Art, mit der sich der bayerische Unternehmer den gesamten sächsischen Milchmarkt unter den Nagel gerissen hat.
Die Geschichte begann im September 1991. Der sächsische Landwirtschaftsminister ließ sich in einer Presseerklärung seines Hauses feiern: Seinen intensiven Verhandlungen sei es zu verdanken, daß die Molkereigenossenschaft Chemnitz durch Verpachtung weiterbestehen könne. Retter in der Not war die Aretsrieder Skandalmolkerei Müller-Milch, die sich bislang wenig um Bauauflagen, Umweltgesetze und Müllvermeidung geschert hatte. Müller versprach, den höchsten Milchpreis in ganz Sachsen zu bezahlen.
Der Grundstein für das sächsische Müller-Imperium war gelegt. Es folgte die handstreichartige Übernahme der Mittelsächsischen Milchwerke im Raum Oschatz mit einer Massenentlassung, bei der keine Rücksicht auf Schwerbehinderte und Schwangere genommen wurde.
Und es folgte das staatliche Subventionsfüllhorn. Ohne nennenswerte Investitionen konnte Milchbaron Theo Müller bereits an die 13 Millionen Mark Fördermittel einstreichen. Schließlich versprach Müller, in Geithain bei Leipzig ein hochmodernes neues Milchwerk für 180 Millionen Mark zu bauen und 500 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Beim Versprechen ist es geblieben. Denn jetzt will Müller ja die Sachsenmilch AG weiterführen. Die in Hochglanzbroschüren angekündigte neue Molkerei in Geithain ist damit ebenso Schnee von gestern wie Müllers Ankündigung, den höchsten Milchpreis in Sachsen zu zahlen.
Die Vorstände der Mittelsächsischen (Müller-)Milchwerke hatten schon im Frühjahr einen Brandbrief an Minister Jähnichen geschickt: „Die Molkerei Alois Müller GmbH zahlt derzeit den schlechtesten Milchpreis des Freistaates Sachsen. Die neue Molkerei ist sinnlos, wenn die Bauern den Neubau nicht mehr erleben.“
Die Abgeordnete Kornelia Müller sieht durch die sich anbahnende Monopolstellung des bayerischen Milchbarons in Sachsen „ohne Übertreibung das Ende der Marktwirtschaft“ heraufziehen. Wenn die Gläubiger im Januar zustimmen, hat die Aretsrieder Molkerei die unglaubliche Milchmenge von 800.000.000 Litern vertraglich gebunden – fast zwei Drittel der gesamten sächsischen Milcherzeugung. Bauern und Verbraucher wären dem Milchbaron aus Bayern ausgeliefert, und der Freistaat Sachsen bliebe für immer ein Niedrigpreisland für Milch – fatal angesichts der Tatsache, daß 40 Prozent der landwirtschaftlichen Einnahmen aus der Milchwirtschaft kommen.
Nicht nur die höchst umstrittene Milchpolitik des Freistaats Sachsen, die von den ursprünglich 73 Molkereien nur noch zwei große in nennenswertem Umfang förderte – und das sind die Müller-Milch und Sachsenmilch – verschaffte Müller-Milch trotz einer Reihe von Mitbewerbern ein neues Imperium. Theo Müller griff zugleich zu einem Bauerntrick. Als sich die Sachsenmilchpleite abzeichnete, warb er der Sachsenmilch ihre Lieferanten ab und verhinderte damit, daß die Mitbewerber auch nur annähernd auf die benötigte Milchmenge kamen, um das fast fertige Sachsenmilch-Werk rentabel weiterzubetreiben. Immer mehr Mitbewerber mußten klein beigeben, und auch die bis zuletzt interessierte schwedische Arla- Gruppe signalisierte, daß sie bestenfalls einen Teil des überdimensionierten Sachsenmilch-Neubaus für die Milchverarbeitung nutzen könne.
Obwohl das neue Milchwerk in Leppersdorf bei Dresden auf die gigantische Milchmenge von 550 Millionen Liter jährlich ausgelegt war, sattelten die Manager der Sachsenmilch sogar noch drauf, so daß erst ab einer Milchmenge von 700 Millionen Liter einigermaßen rentabel produziert werden kann. Eine Zahl zum Vergleich: die Südmilch verarbeitet jährlich rund 300 Millionen Liter.
„Dank der Deutschen Bank, die die Misere der Sachsenmilch als Hausbank mitzuverantworten hat, weil die Wirtschaftlichkeit von Leppersdorf nicht ausreichend geprüft wurde, und dank der verfehlten sächsischen Förderpolitik entsteht nun ein Großkombinat Müller-Milch – eine Bankrotterklärung der Regierungspolitik“, konstatiert die Landtagsabgeordnete Müller. Erneut fordert das Bündnis 90/ Grüne eine unverzügliche Stärkung der Konkurrenz mittelständischer Unternehmen, wie zum Beispiel der Radeberger Molkereigenossenschaft oder der Vogtlandmilch Plauen.
Aber das tut die Opposition ja nicht zum ersten Mal. Und deshalb wurde die Parlamentarierin mit dem zufällig gleichen Namen wie der Milchbaron bei einer öffentlichen Pressekonferenz von Müller- Milch und Agrarpolitikern der sächsischen CDU und der bayerischen CSU des Saales verwiesen: Die Politiker wollten in so trauter Runde, verschanzt hinter einem Riesenstapel aus Müller-Milch- Produkten, nichts über andere Molkereien hören. Und Minister Rolf Jähnichen äußerte lediglich, daß derjenige, der den Erhalt einer „Folklorelandwirtschaft“ mit handwerklichen Verarbeitungsbetrieben fordere, die Realität nicht kenne.
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