: Bei Schäuble denkt Scharping an Franco
■ SPD-Chef kritisiert Schäuble wegen dessen Forderung nach neuen Einsatzmöglichkeiten für die Bundeswehr / Streit um Sozialabbau geht weiter / Waigel schwört: Keine weiteren Steuererhöhungen
Hamburg (dpa) – SPD-Chef Rudolf Scharping hat in scharfer Form den Vorsitzenden der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble, wegen dessen jüngsten Äußerungen zur Sozialpolitik und zum Bundeswehreinsatz im Innern angegriffen. „Dieser Mann treibt mit seiner verhärteten Art die Union in eine nationalistische rechte Ecke. Er zerstört damit die CDU als Volkspartei“, erklärte Scharping der Bild am Sonntag. Eine Große Koalition 1994 schloß der SPD-Chef definitiv aus.
Nach Ansicht von Scharping redet Schäuble in der Sozialpolitik „einem weiteren Sozialabbau das Wort“ und verletze „eisig jedes Gebot auch der christlichen Soziallehre“. Statt Schäuble zu stoppen, mache Bundeskanzler Helmut Kohl mit, sagte Scharping. Das gelte auch für Schäubles Vorschlag, die Bundeswehr unter bestimmten Umständen auch im Innern Deutschlands einzusetzen. „Das ist ein Spielen mit dem Verfassungsbruch. Das bringt Herrn Schäuble in die Nähe von Spanien zur Franco-Zeit.“
Der Bundesminister im Kanzleramt, Friedrich Bohl (CDU), wies am Sonntag in Bonn Scharpings Kritik scharf zurück. Wer Schäuble in die Nähe von Spanien zur Franco-Zeit stelle, offenbare, daß es ihm lediglich darum gehe, politisch Andersdenkende zu diffamieren. Scharping bekräftigte die Forderung nach einem „nationalen Beschäftigungspakt“ gegen die Arbeitslosigkeit und lehnte weitere Kürzungen bei den Sozialleistungen ab. Wenn die SPD die Bundestagswahl im nächsten Jahr gewinne, wolle sie den Sozialstaat modernisieren. Dazu gehöre ein einheitliches Kindergeld für alle ohne Freibeträge im Steuerrecht, die nur hohen Einkommen nützen. Die zum 1. Januar in Kraft tretenden Kürzungen des Schlechtwettergeldes und seine für 1996 geplante Streichung müßten wieder rückgängig gemacht werden. Die Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung müßten gesenkt werden. Die deutsche Einheit dürfe nicht länger auf dem Rücken der Beitragszahler finanziert werden.
Doch auch eine weitere Erhöhung der Neuverschuldung lehnte der Chef der Sozialdemokraten ab, da sich der Haushalt 1994 bereits an der „Grenze der Bilanzfälschung“ bewege. Finanzielle Spielräume erhofft sich Scharping von einer Vorziehung des Solidarzuschlages.
Im Gegensatz zum SPD-Chef lehnte Bundesfinanzminister Theo Waigel einen auf 1994 vorgezogenen Solidarbeitrag ab. Auch sonstige Steuer- und Abgabeerhöhungen schloß Waigel kategorisch aus. „Damit das klar ist. Es gibt keine zusätzlichen höheren Steuern und Abgaben.“ Trotz der noch bestehenden Lücke von mindestens 7,5 Milliarden Mark im bereits verabschiedeten Bundeshaushalt 1994 rechnet Waigel auch nicht mit einer Anhebung der Neuverschuldung, die bereits mit 69,1 Milliarden Mark veranschlagt ist. Er versicherte, das Ergebnis von 1993, in dem die Aufnahme zusätzlicher Schulden von zuerst geplanten 38 Milliarden auf rund 70 Milliarden kletterte, werde sich nicht wiederholen.
Kohl und Waigel bekräftigten, daß die Neuverschuldung des Bundes im nächsten Jahr nicht über 70 Milliarden Mark steigen dürfe. Zu den Einzelheiten der weiteren Sparmaßnahmen wollte der Kanzler sich nicht äußern.
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