Knöpfe pflastern ihren Weg

Schmölln in Thüringen: Ohne Knopfloch wär' hier nichts passiert / Von Steinzeitknöpfen, Steinnüssen und Polyester  ■ Heide Platen

Im Gewerbegebiet der 12.000-Einwohner-Stadt Schmölln, östlich von Gera im Tal des Flüßchens Sprotte gelegen, drehen sich Tag und Nacht seltsame sechseckige Holztrommeln. Sie polieren Knöpfe und passen nicht so recht in das kühle, technische Ambiente der hellen Container-Halle mit den modernen elektronischen Maschinen. „Die sind“, erinnert sich der Pressereferent der Stadt, Wolfgang Götze, etwas nostalgisch, „noch immer so wie früher“. Er hat seine kaufmännische Lehre in einer Knopffabrik absolviert.

Für Knöpfe war die „Knopfstadt Schmölln“ bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts weltberühmt. Sie exportierte in alle Welt. Knöpfe zu machen, das war und ist nicht etwa eine banale Tätigkeit an einem banalen Gegenstand. Es brauchte, so der Geschäftsführer der „Schmöllner Knopffabrik“, Jochen Rahm, eine lange Ausbildung. Fünf bis sechs Jahre mußte früher ein Geselle lernen und vor der Meisterprüfung vier Jahre auf Wanderschaft gehen. Knöpfemachen, das ist, sagt er stolz, „ein Handwerk in vielen Berufen“: Metallverarbeiter, Gürtler, Drechsler, Posamentierer mußten die Knopfmacher sein, Stilgefühl und Modebewußtsein haben.

Der Knopf gehört seit mindestens 10.000 Jahren zur Kleiderordnung. Die Menschen schoben Holz- und Knochenstückchen durch Sehnen- und Lederschlingen, erste Scheibenknöpfe aus Bernstein stammen aus einem 8.000 Jahre alten Grab. Zwei kleine, dunkle Steinknöpfe aus der Jungsteinzeit, durchbohrt und mit einer Öse aus Eisen an der Unterseite versehen, sind geometrisch gemustert und könnten mit diesem Design auch heute noch im Kurzwarenhandel bestehen. Knoten, Knauf, Knorren und Knopf entwickelten sich als Begriffe aus dem germanischen Wort „knuppa“.

Seinen Siegeszug gegen Fibeln, Nadeln und Spangen trat der Knopf in Europa allerdings erst Ende des 13. Jahrhunderts an. Die Kreuzritter brachten von ihren Eroberungszügen Moden mit, die neue Verschlußmethoden erforderten. Mit der Erfindung des Knopflochs im 14. Jahrhundert brach, so die Stylistinnen Anette Wilzbach und Martina Wilzbach- Wald, „eine wahre Knopfomanie“ in den gehobenen Kreisen aus. Die Obrigkeit griff mit strengem Reglement gegen diese Hoffart ein und untersagte vor allem den unteren Ständen den Prunk. Die farbenfrohe Luxuskleidung der Rennaissance huldigte dem Schmuckknopf. Die Prachtstücke wurden aus Gold- und Silberdraht, aus Seidengarnen, feinem Horn und talergroßem Perlmutt gefertigt.

Frankreich und England überschwemmten das Land mit ihren Billigproduktionen. Zum Schutz der einheimischen Produktion erließ der preußische König 1745 ein Handelsverbot. Im 18. Jahrhundert schlossen sich die Knopfmacher zu Gilden zusammen. Deren Schranken fielen mit der Einführung der Gewerbefreiheit, industrielle Produktion löste die Handarbeit ab.

Der Knopf sorgte Mitte des vorigen Jahrhunderts in der ehemaligen Ackerbau- und emsigen Handwerksstadt Schmölln für eine bis dahin ungeahnte Expansion. Textilbetriebe, Gerbereien, Gürtler, Drechsler hatte es vorher schon gegeben. Die Drechsler drehten Holzknöpfe, Schirmgriffe und Stöcke. Dann entdeckte der Holzimporteur Schlick einen neuen, billigen Rohstoff. Handelsschiffe luden in Südamerika als Ballast für die leeren Frachträume Steinnüsse ein und verschleuderten diese „unbrauchbare“ Ladung in deutschen Hafenstädten. Er empfahl Berliner Knopfmachern den bis dahin unbekannten Werkstoff. Der Thüringer Hermann Donath, gelernter Perlmuttknopfhersteller, zog 1861 nach Schmölln und gründete dort die erste Knopffabrik. Sein Bruder, Valentin Donath, hatte in Berlin „gespickt“ und die Bearbeitung der Steinnüsse gelernt. Donath beschleunigte die Produktion durch Dampfmaschinen für die Drehbänke, andere Betriebe kamen dazu. Bis zum 1. Weltkrieg arbeiteten 20 Knopffabriken mit rund 2.400 Arbeitern in Schmölln, die Bevölkerung war in 60 Jahren explosionsartig von 5.000 auf über 12.000 Menschen angewachsen. Der Schulrektor Rudolf Seyfarth errechnete 1926 in den „Blättern für Heimatpflege“ nicht nur dies, sondern auch, daß „ein anständig gekleideter Mann jeden Tag wohl mindestens vierzig Handgriffe“ brauche, ehe er ordentlich zu- und wieder aufgeknöpft sei, im Jahr also 14.600, in 60 Jahren „876.000 Handgriffe“.

Damit kam sein Mustermann eher bequem davon, denn seine mittelalterlichen Geschlechtsgenossen hatten ihre Gewänder manchmal „mit fünf bis sechs Schock Knöpfen ausgestattet“. Ein Schock zählte 60 Stück.

Daß, allerdings erst seit dem vorigen Jahrhundert, Damen und Herren unterschiedlich knöpften, hat seine — ungedeckten — Spekulationen. Einhändiges Knöpfen, vermuten die einen, lasse dem Manne die rechte Hand frei für den Degen, der Frau hingegege die Linke zum Tragen eines Säuglings. Andere vermuten, daß rechts und links eben nicht zu verwechseln seien, sondern im Volksglauben für männlich und weiblich stünden.

Wolfgang Götze erinnert sich noch an die Steinnüsse. Mit denen haben er und seine Freunde im Winter Eishockey gespielt. Die Samen der Elfenbein- oder Tapuspalme (Phytelephas microkarpa) sind fast so groß wie ein Tennisball und steinhart. Seyfarth beschreibt ein Exemplar des Baumes, das 1910 zu einer Jubiläumsausstellung des Gewerbevereins nach Schmölln kam: ein „kriechender Stamm von etwa 7 Metern Länge, aber nur 2 Metern Höhe“, bis zu sieben Meter lange Blätter mit sechs bis acht Fruchtständen. Die Nüsse haben eine holzige Schale, enthalten anfangs eine milchige Flüssigkeit, die, verhärtet, „das pflanzliche Elfenbein liefert“. Schmölln importierte Anfang dieses Jahrhunderts jährlich 70.000 Zentner. Sie wurden geschält, mit Kreissägen zersägt und gedreht. Dabei kam es, berichten Chronisten, oft zu Verletzungen an den Händen der Arbeiter. Frauen und Kinder nähten die Knöpfe für den Versand in Heimarbeit auf Knopfkarten und Kartons.

Eine empfehlenswerte Feriengegend ist Schmölln nicht gerade. Die Abraumhalden der Uranabbaugesellschaft der „Wismut“ sind kaum 30 Kilometer entfernt. Auf dem Pfefferberg über dem Ort ragt die Aussichtsplattform des eisernen Ernst-Agnes-Turmes. Der rote Stern auf seiner Spitze ist verschwunden. Hier feierten die Turnvereine der Arbeiterstadt ihre Feste. Überall drängen sich Schornsteine kleiner, fast manufakturähnlicher Fabriken zwischen die graue, geduckte Arbeiterarchitektur und die schmucken Häusern der Bürger, die in Schmölln zu ein wenig Wohlstand kamen. Und was wurde dort nicht alles produziert. Ein Spottvers kommt auf 19 Produkte und versucht, zusammenzufassen: „Uhrgehäuse, Holzpantinen, Lederriemen, Knopfmaschinen... Knöpfe fast an allen Enden, Kisten, Karten, Tabakdosen, Cartonagen, sonstige Chosen findt der Käufer fern und nah in dem Schmöllner Afrika!“.

Heute ist von alledem fast nur noch die bröckelnde, bauliche Substanz geblieben. In der DDR wurden viele der Betriebe geschlossen oder zu großen Kombinaten zusammengefaßt. Damals setzte, sagen die Leute aus der Arbeitersiedlung Hammelhof, „und das ausgerechnet in der DDR“, „so ein gewisser Identitätsverlust der Arbeiter ein“, denn „fast alle die mittleren und kleinen Familienbetriebe waren auf einmal weg“.

Die starken Arbeiterselbstorganisationen im „roten Schmölln“ waren im Faschismus zerschlagen worden. Sie hatten dafür gesorgt, daß sich „die chaotischen Zustände“ wegen und trotz des rasanten Bevölkerungswachstums in Grenzen hielten, Arbeits-, Wohn- und Freizeitsituation der Menschen verbessert. Sie und die in Schmölln damals sehr beliebten Freidenker wurden während des Nationalsozialismus fast ausgeschaltet. Man traf sich nur noch inoffiziell in Wirtshäusern und Kleingärten. Armeeaufträge und Abzeichen für das Winterhilfswerk 1935 sicherten Arbeitsplätze. Die innere Emigration der Sozialdemokraten machte sich nach 1945 nur einmal, eher verhalten, Luft. Die Schmöllner sangen am 17. Juni 1953 auf dem Marktplatz zu Tausenden das Lied „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“. Die Knopfproduktion kam nicht wieder richtig in Gang.

Heute, ahnt der Stellvertretende Bürgermeister, Uwe Hempel, „liegt die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent“. Und: „Eine Touristenstadt werden wir wohl nie werden, aber eine Einkaufsstadt und ein wirtschaftliches Zentrum schon“. Er ist stolz auf die drei neuen Gewerbegebiete, die „zu 75 Prozent“ vergeben sind. Und er setzt auf die „verkehrsgünstige Lage“ an der B 7. Die Autobahnanbindung zur A 4 ist seit diesem Herbst eröffnet. Eine Mehrzweckhalle ist gebaut, das Straßennetz wird saniert, der Marktplatz soll mit seinen kleinen Läden, einem Kaufhaus und dem gerade neu eröffneten Cafe zum Herzstück der Stadt werden. Auch die erste der beiden neuen Eisenbahnüberführungen ist Ende November eröffnet worden, der Interreggio nach Dresden hält wieder in Schmölln. Die Eisenbahn bedeutet viel für das neu erwachende Selbstbewußtsein der Stadt. Mit ihrer Eröffnung im Dezember 1865 hatten die „Sächsischen Westlichen Staatsbahnen“ Schmölln mit der Welt verbunden und den Transport der frühen Industrieprodukte erst rentabel gemacht.

Die Schmöllner waren experimentierfreudige Knopfmacher und verstanden sich schon immer auf das Imitieren. Sie veredelten die Steinnuß zu täuschend echt aussehenden Hornknöpfen. Sie verarbeiteten auch einen der ersten „Kunststoffe“. Aus Magermilch gewannen sie „Milchstein“, Galatith, färbten und marmorierten die Platten und Stäbe und ahmten Koralle, Schildpatt und Bernstein nach.

Jochen Rahm und seine 16 Angestellten verwenden heute Polyester, einen Kunststoff, der bei Experten als „weniger schlimm“ gilt. Die Kollektion ist vielfältig: naturfarbene Knöpfe, gemasert und marmoriert für sommerliche Seiden- und Leinenkleider, glasklare mit popig bunten Einschlüssen und solche mit Samenkörnchen im Naturlook. Jochen Rahm muß immer wieder lachen, wenn er in den lokalen Medien hört und liest, auch Karl Lagerfeld verwende die Schmöllner Knöpfe. Nein, sagt er, so sei das auch wieder nicht. „Der Lagerfeld“ im fernen Paris wisse natürlich nichts von Schmölln. Er habe „ein oder zwei unserer Modelle wie alle anderen Modehersteller auch“, bei einem Grossisten erstanden. Dorthin geht die neue Produktion vor allem. Rahm: „Wir wollen nicht als Zulieferer von den großen Textilproduktionsbetrieben abhängig sein. Wenn die zumachen, dann trifft uns das sofort auch.“ Deshalb setzt er auf den Zwischenhandel.

Die neue kleine Knopffabrik hat für die Schmöllner und ihr Geschichtsbewußtsein, so Götze, bisher einen „eher einen symbolischen Charakter“. Aber es gehe „voran“. Gerade eröffnet im Gewerbegebiet eine Lagerhalle für Küchengeräte. Trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage sind auch die Schmöllner derzeit durchaus mit ihrer Stadtregierung zufrieden: „Erstaunlich, was die in so kurzer Zeit alles auf die Beine gestellt haben.“ „Schulden“, sagt der ältere Herr, der früher mal Verwaltungsdirektor war, hätte die Stadt zwar „reichlich“ gemacht. Aber das sei doch „der einzige Weg, um hierher wieder Arbeitsplätze zu bekommen“: „Das haben wir ja jetzt erst gerlernt, was Infrastruktur ist.“ Währenddessen träumt Wolfgang Götze schon von einem kleinen Knopfmuseum, in dem alte Maschinen und Produktionsmethoden gezeigt werden könnten. Das, lacht sein Kollege Hempel, „kommt erst viel später. Jetzt ist erst mal der Wohnungsbau dran.“

Literatur: „Knopf Design“, Anette Wilzbach und Martina Wlizbach-Wald, Deutscher Fachverlag, Frankfurt am Main, 1990.