: Bei Nacht und Nebel Karl-Marx-Allee vertickt
■ Anwohner befürchten starke Mieterhöhungen / Seit wann wußte Bürgermeister Helios Mendiburu vom Verkauf? / Ab 1995 keine Garantie für niedrige Mieten
Selbst der größte Raum im Bezirksamt Friedrichshain bot den aufgebrachten Bürgern nicht genügend Platz. In der Kantine standen und saßen über 150 Mieter aus der Karl-Marx-Allee und wollten erfahren, was es mit dem Verkauf ihrer Wohnungen an die Depfa Immobilienmanagement AG auf sich hatte. Darüber informierte der bezirkliche Wohnungsausschuß auf einer Sondersitzung am Montag abend. Doch auch die Kommunalpolitiker tappten zunächst im dunkeln. So fragte Joachim Pempel (PDS) nach dem zukünftigen Kündigungsschutz für die Mieter und warum der Verkauf erst am 21. Dezember bekannt wurde.
Antwort auf diese Fragen versprach Helios Mendiburu (SPD), Bezirksbürgermeister von Friedrichshain. Mendiburu geriet in die Kritik, nachdem er auf einer Bezirksverordnetenversammlung am 8. Dezember den Verkauf der 2.950 Wohnungen in der Karl- Marx-Allee kategorisch ausgeschlossen hatte. In seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF), momentan noch Eigentümerin der Wohnungen, stimmte er dem Verkauf jedoch kurze Zeit später zu. Seine Aussage, er habe erst am 10. Dezember vom Verkauf erfahren, ist insofern unglaubwürdig, weil auf Nachfrage der taz Peter Mayenknecht von der WBF, versicherte, daß bereits Mitte November in einer Aufsichtsratssitzung über den Verkauf der Wohnungen geredet worden sei. Gegenüber der taz verweigerte Mendiburu jegliche Stellungnahme.
Zu dem Vertrag mit dem neuen Eigentümer sagte Mendiburu, daß die Mieter vor Kündigungen und Luxussanierungen sicher seien. Außerdem bleibe die WBF Vermieterin. Auf Nachfrage einiger Anwohner erklärte er aber: „Ab 1995 gibt es keine Garantie für niedrige Mieten.“ Die Depfa habe vor, etwa 650 Millionen Mark in die Wohnungen zu investieren. Auf Antrag von Pempel beschloß der Wohnungsausschuß, daß im Januar Mieterversammlungen in den verkauften Häusern stattfinden und Mieterbeiräte gegründet werden sollen. Ein Antrag von Claudia Hertel (Bündnis Friedrichshain), den Verkauf der Wohnungen auszusetzen, bis die BVV darüber entschieden habe, scheiterte knapp.
Den Hintergrund für den Verkauf bildet das Altschuldenhilfegesetz (AHG), das die östlichen Wohnungsbaugesellschaften verpflichtet, mindestens 15 Prozent ihres Wohnungsbestandes zu privatisieren. Wird diese Privatisierung bis zum 31. Dezember 1993 abgeschlossen, steht es den Gesellschaften bedingt frei, ob sie Investoren gegenüber kaufwilligen Mietern ein Vorverkaufsrecht einräumen. Die Bewohner der Karl- Marx-Allee sind von der WBF nicht gefragt worden, ob sie an einem Kauf ihrer Wohnungen interessiert seien. Dieses Versäumnis, erklärte Mayenknecht, hänge damit zusammen, daß man eigentlich nicht vorhatte, die Wohnungen zu verkaufen. Thomas Nagel
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen