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„Da dürfen wir keine Scheuklappen haben“

■ Interview mit der Bremer Sozialpolitkerin Elke Steinhöfel (SPD) über Renten und intelligente Sozialpolitik überhaupt

taz: Ich bin jetzt 42. Sind meine Renten sicher?

Elke Steinhöfel: Ich gehe davon aus.

Aber ganz sicher kann ich mir nicht sein?

Das weiß niemand 100prozentig. Nur : Wenn man verfolgt, wie die statistischen Rentenberechnungen gegenwärtig laufen, so kann man nicht das Gegenteil beweisen und sagen: Ab dem Jahre 2030 wird es keine sicheren Renten geben. Ich gehe davon aus, daß die Renten sicher sind. Aber ein Unsicherheitsfaktor ist da. Was politisch in diesen Tagen gemacht wird, ist eine üble Verunsicherung und gehört in den Gesamtkontext: Vorbereitung von weiterem Sozialabbau.

Es scheint mir aber neu, daß die Frage ernsthaft aufgeworfen werden kann.

In der Sozialpolitik ist gegenwärtig kein Thema mehr tabu, angefangen von der Gesundheitsreform. Man schmälert die Leistungen für Artbeitslose schamlos. So versucht man auch, dieses Thema zu benutzen.

Ist da nicht ein grundlegendes Problem im Hintergrund? Auch im bremischen Kommunalhaushalt geht der Anstieg der Sozialausgaben so nicht weiter.

Die Sozialhaushalte steigen astronomisch. Im letzten Jahr waren es in Bremen 800 und soundsoviel Millionen, jetzt ist es für 1994 schon eine Milliarde. Wir stehen davor mit Erschütterung, denn der Sozialhaushalt ist ja der Sanitätszug in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen ausgegrenzt werden. Wir haben nicht nur eine Zunahme von Arbeitslosigkeit, 2/3 des kommunalen Sozialhaushaltes werden für Pflegebedürftige ausgegeben. Darum auch die Notwendigkeit der Pflegeversicherung.

In beiden Problembereichen wird sich der Trend auf absehbare Zeit nicht ändern...

Wir werden in Bremen und in der Bundesrepublik darüber nachdenken müssen, ob es nicht einen zweiten Arbeitsmarkt geben sollte: einen Arbeitsmarkt, auf dem die Leute Platz finden, die heute aussortiert werden. Das wird mit den Gewerkschaften zu verhandeln sein, da dürfen wir keine Scheuklappen haben und sagen: es gibt noch die und die Tarifverträge und 15 Prozent sind gleichzeitig arbeitslos. Das geht nicht, da muß was gemacht werden.

Das heißt: Spaltung der Macht der Gewerkschaften.

Die Intelligenz der Gewerkschaften und die Einsichtsfähigkeit, die muß geschärft werden.

Und was machen wir mit der zunehmenden Zahl alter Menschen?

Auch da müssen intelligente Lösungen gefunden werden, die aber nicht kostenlos zu haben sind. Die Pflegeversicherung wird entlasten...

Die Gesellschaft zahlt es dann nur auf andere Weise.

... und wir müssen auch zu anderen Lebens- und Wohnformen kommen müssen, die es erlauben, daß ältere Menschen länger in einer Gemeinschaft leben und nicht in diese wahnsinnig teuren Heime müssen. Das Problem der Altersverwirrten nimmt zu, das ist ein neues und völlig unbearbeitetes Feld in Bremen. Da fordere ich, daß 2 Millionen Mark eingesetzt werden.

Pro Jahr?

Ja. In den Heimen müssen professionelle Kräfte dieses Thema aufnehmen.

Es ist also politisch richtig, denen, die sich an das Sozialsystem gewähnt haben, zu sagen: So kann es nicht weitergehen?

Ich bin eine massive Gegnerin von den Versuchen, die Sozialetats zu Steinbrüchen zu machen, an denen sich jeder dreist bedienen kann. Das darf nicht sein. Wenn man abbauen will - die gesamten Sozialhaushalte der Bundesrepublik sind eine Billion – dann muß man das eingesparte Geld nehmen, um umzubauen. Es gibt neue Bedarfe, die bewältigt werden müssen. Natürlich ist der Sozialstaat kritisch zu durchleuchten, aber die Sozialpolitik darf nicht Wurmfortsatz einer Wirtschaftspolitik werden, da gibt es einen Verfassungsauftrag, Sozialstaat zu erhalten.

Der Sozialpolitiker der SPD in Bonn, Dreßler, macht oft eine große politische Koalition in Bonn.

Die SPD in Bonn muß im Auge behalten, daß der Sozialstaat Riesenkosten verursacht. Auf der anderen Seite: Wenn man etwas gesetzgeberisch auf den Weg bringen will, muß man sich in Bonn eher mit der CDU einigen als mit dieser Lobbiisten-Partei FDP. Die ist ja sozialpolitisch das Hinterletzte, auch in Bremen.

Bremen spart bei der Monatskarte für Sozialhilfe-Empfänger eine Millionen. Wohin ging das Geld?

Das ist eben das Problem. Das geht in den großen Topf von Volker Kröning und ward nicht mehr gesehen , für sozialpolitische Zwecke.

Wo ist das Geld geblieben, das Bremen durch die verzögerte Sozialhilfe-Anhebung gespart hat?

Wir haben es jnicht gesehen. Das hat das große Defizit des Gesamthaushalt etwas niedriger gehalten.

Gibt es in Bremen eine Kooperation zwischen Sozialpolitikern der CDU und der SPD?

Es gibt gewisse Sympathien zwischen einzelnen Personen, Sozialpolitikerinnen auch der CDU oder der FDP. Aber das endet immer an den Barrieren der Fraktionsdisziplin. K.W.

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