piwik no script img

Es ist aus mit der Literatur

■ Ein Gespräch mit dem russischen Lyriker Denis Nowikow

Irena Maryniak : Wie sehen Sie Ihre Rolle als Dichter im neuen Rußland?

Denis Nowikow: Ich bin nicht so sehr Vertreter meiner Generation als Mitglied einer früheren Schule, auch wenn man bei ihr kaum von einer homogenen Gruppierung sprechen kann. Vor ein paar Jahren war es unglaublich schwer, eine irgendwie stimmige Sammlung von Gedichten zusammenzutragen – wie man das mit der Lyrik unseres „Silbernen Zeitalters“ hat machen können; die Qualitätsunterschiede waren zu groß. Meine Zeitgenossen haben eine großartige Technik und beherrschen ihr poetisches Handwerk wirklich meisterhaft. Aber überwältigende Brillanz kann auch den poetischen Funken töten und die Schaffung von etwas wirklich Neuem verhindern.

Mein eigenes Schreiben begann als etwas sehr Irrationales, und ich will jetzt im nachhinein auch nichts Rationales hineininterpretieren. Kritiker haben damals gesagt, daß ich die Sprache des 19. Jahrhunderts mit dem neuesten Slang zusammengebracht hätte. Aber inzwischen ist auch meine Sprache längst wieder veraltet. Ich kenne nur den Slang von vor zwei Jahren, der neueste ist nicht mehr meiner. Ab und zu habe ich das überwältigende Bedürfnis, in Versen zu sprechen, die Sprache in eine nicht natürliche Form zu gießen. Je mehr wir Sprache und Wirklichkeit harmonisieren können, desto besser; besonders heute, wo wir in Rußland eine totale Transformation von Verhalten und Kommunikationsformen erleben. Der Stil der sowjetischen Ära ist passé. Es war auch nichts Gutes an ihm dran, aber er war irgendwie beherrscht – durch Angst vielleicht... Jetzt herrscht das Gesetz des Dschungels. Und wir haben die Fähigkeit verloren, miteinander zu sprechen, uns gesellschaftlich aufeinander zu beziehen.

Mit der Literatur ist es aus. Es war ja kein Mythos, daß die Bürger der Sowjetunion die eifrigsten Leser der Welt waren. Wohin uns das gebracht hat, ist eine zweite Frage. Vielleicht war daran ja gar nichts Positives, aber all die Menschen, die in der Metro lasen, das machte schon Eindruck. Jetzt wächst eine Generation von, man kann fast sagen: Analphabeten heran. Die Videokultur und Spielautomaten ersetzten vieles, auch das Lesen. Vielleicht haben die Leute damals gelesen, weil das Leben langweilig war: es gab nichts anderes. Jetzt gibt es was anderes – andere Moden. Man kann sich ein Video angucken, kann am Spielautomaten stehen oder Geschäfte machen. Diese Generation von Fast-Analphabeten wird nur zu einem geringen Teil durch die winzige Gruppe derer kompensiert, die in der Schule Latein, Theologie, Französisch, Englisch oder Deutsch lernen. Aber das werden nur fünf Prozent einer Generation sein. Der Rest verwildert. Die Liebe zur literarischen Sprache, zur Harmonie der Wörter wird langsam, aber sicher untergraben.

Für wen schreiben Sie dann noch?

Wie Puschkin sagte: ich schreibe für mich selbst und veröffentliche für Geld. Obwohl das natürlich heute gar keinen Sinn mehr macht, weil man durchs Veröffentlichen nichts mehr verdient. Aber ich schreibe für mich, und vielleicht einen imaginären Gesprächspartner. Schwer zu sagen, wen ich mir da vorstelle: eine Gottheit, ein Mädchen, einen engen Freund? Ich schreibe für mich und einen „anderen“, einen Vertrauten.

In den sechziger und siebziger Jahren hat man oft für einen kleinen Kreis von Freunden geschrieben. Aber das ist heute, da ein offener Markt existiert, wahrscheinlich gar nicht mehr möglich.

Wer sagt, er habe für einen kleinen Freundeskreis geschrieben, ist unehrlich. Ich bin wahrscheinlich auch etwas unehrlich, wenn ich sage, ich schriebe nur für einen Vertrauten, denn jeder, der schreibt, stellt sich gerne auch den großen Ruhm vor. Man will gerne von Millionen gelesen werden (was in diesem Land ja auch wirklich realistisch ist). Literarische Kreise hatten keine klar definierten Grenzen. Zwar gab es eine kleine Gruppe „aktiver Zuhörer“, aber darüber hinaus gab es die große Masse der passiven Leser. Was war Samisdat denn? Einer las vielleicht am Küchentisch ein neues Werk und gab das Typoskript an einen anderen weiter – und dann war es innerhalb von zwei Wochen in Minsk oder Woronesch, und dort machte man noch ein paar Abschriften. So etwas wie einen geschlossenen Kreis von Literaten oder Lesern gibt es gar nicht, die Kette ist endlos.

Sie hatten mit der Produktion der selbstverlegten „Almanakh“- Anthologie zu tun. Wie kam das zustande?

Das fing ganz banal an. Eine kleine Gruppe von Dichtern traf sich immer in einem Café bei der Metro-Station Taganskoye, 1988 war das so eine Art kultureller Nische. Man trank Kaffee, redete übers Wetter und die Literatur und schimpfte über den schlechten Kaffee. Damals wurde nicht viel veröffentlicht, und unser „Almanakh“, eine Anthologie guter Gedichte von jungen Schriftstellern, erschien zu einer Zeit, als diese in Rußland noch so gut wie unbekannt waren. Wir hatten ein paar Lesungen zusammen gemacht, und dabei war uns klargeworden, daß wir hier einen guten Grundstock hatten. Also haben wir Ende 1991 eine Sammlung veröffentlicht. Sie wurde zum Testament ihrer Zeit, zum Denkmal der kulturellen Situation zwischen 1988 und 1990, als die Menschen sich noch trafen, um Gedichte zu hören und anschließend darüber zu sprechen. Dichtung war damals noch in der gleichen Kategorie wie Rockmusik: das poetische Wort war wichtig. Aber die Zeiten wandeln sich.

Ist die „Almanakh“-Sammlung also schon Geschichte?

Ja, das ist sie. Ich fühle mich schon sehr weit weg davon. Aber vielleicht kann man jetzt schon wieder Dichterlesungen machen. Da werden dann nur zwanzig Leute kommen statt dreihundert. Aber ich bin optimistisch. Etwas wird passieren. Die Hauptsache ist, daß etwas geschrieben wird. Vergeudet ist das nie.

Interview: Irena Maryniak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen