: Die quasselnde Kleinanzeige
■ „Phone Boxing“ in Bremen: KPS organisiert per Computer einen telefonischen Anzeigenmarkt
Dagmar braucht nicht länger auf den Zufall zu warten. Das verspricht jedenfalls die elektronische Ansage-Stimme der Wiedersehen- Leitung. Bei der „A bis Z“ Phone-Box hat man dem Zufall jetzt nämlich einen Nummern-Code verpaßt. Rund um die Uhr, dank der Phone- Box, könnte Dagmar dem Zufall nun ein Schnippchen schlagen. Sie bräuchte nur die Wiedersehens-Nummer anzuwählen – und schon wüßte sie, daß Thomas aus Delmenhorst nach ihr sucht: 0190 363- 673.
Erst seit einem guten halben Jahr gibt es die „Null-Einhundertneunziger“ -Nummern der Telekom im bundesweiten Netz. Seitdem werden sie von privaten Unternehmen mit „Service“-Diensten in Form von Flirt-Lines und ähnlichem belegt. Die Kosten begleichen die KundInnen über die Telefonrechnung.
Seit Anfang Dezember gibt es nun auch einen lokalen Anbieter: „KPS-Programme Schulenberg“ fischt die heimischen Gewässer nach der Gebührenmark ab. Flirt-, Reise-, Partner- und Jobbox heißen die Köder, die in den Publikationen der KPS-Töchter „A bis Z“ und „Weserreport“ ausgeworfen werden.
Und was wird den Inserentinnen wie Interessenten geboten? Außer zusätzlichen Telefongebühren, einem akustischen Stimmen-Sample und ein wenig elektronischem Drumherum nicht mehr als jede herkömmliche Chiffre- Anzeige.
Wohl auch deswegen glaubt Heimke Müller-Hoar von der Anzeigenleitung der „A bis Z“ nicht, daß die Chiffre-Anzeigen in Zukunft weniger werden: „Bisher jedenfalls war nichts davon zu spüren“ – auch wenn zu bedenken sei, daß die Leute sich an das neue Angebot noch gewöhnen müßten.
Nach ihrer Auskunft ist „A bis Z“ am neuen Service nur durch private Kleinanzeigen beteiligt, wie sie neuerdings auch im „Weserreport“ auftauchen: Eine Zeitungsanzeige, die an jeweils drei Erscheinungstagen veröffentlicht wird, gibt's zum Festpreis – und dazu einen Box-Piloten. Der kommt als elektronisches Brüderlein zur Fernabfrage des Anrufbeantworters per Post ins Haus. Mit seiner Hilfe kann die ungeduldige Inserentin dann Tag und Nacht anhören, wer auf ihr Gesuch geantwortet hat – für eine stolze Mark fünfzehn die Minute.
Die zahlt auch, wer die Frau, 42, ehrlich, treu und kinderlos kennenlernen möchte und ihre Boxnummer 0190-363831 wählt. Und erfährt bei dieser Gelegenheit nur wenig mehr, als daß die Inserentin Isabel heißt.
Dabei ließ die Telefonstimme das Angebot so verheißungsvoll klingen und lockte: „nur eine Mark fünfzehn“ koste der Service. Zu dieser Ansage sind die Anbieter gesetzlich verpflichtet. Sie verdienen am Telefonat knapp die Hälfte der Gebühren – der Rest fließt an die Telekom.
Ansonsten fließt nicht alles immer so, wie VerbraucherInnen es sich wünschen: Nicht nur daß Thomas aus Delemhorst nie sicher sein kann, ob Dagmar den Zufalls-Code zum Glück schon kennt. Auch der Trip in den Süden könnte mit der KPS-Reise-Box eine unsichere Sache werden.
Das meint jedenfalls Dieter Büsing – und der ist vom Fach. Der Chef der Mitfahrzentrale am Körnerwall: „Wer vermitteln will, braucht einen Kopf, keinen Computer. Das war früher der Irrtum vieler Mitfahrzentralen: Die dachten, man muß nur ein Telefon hinstellen, und der Laden läuft.“
Mittlerweile erzählen argwöhnische Kunden von Erfahrungen, die gewisse Zweifel an der Ernsthaftigkeit einzelner Angebote wecken könnten. So hatte ein und dieselbe Person Mitfahrgelegenheiten in vier verschiedene Richtungen gleichzeitig angeboten. Bei Anruf hieß es dann, der Wagen sei schon besetzt.
Der Service hat jedenfalls seinen Preis. Ein Heiermann ist schnell vertelefoniert . ede
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