"Kämpfen macht mich müde"

■ Auf einem Bauernhof im Herzen Marzahns hat sich Günter Beier, Artist in der vierten Generation, mit seiner Tornadobahn eine Zuflucht vor der Vergnügungsindustrie gebaut

Der Bekanntheitsgrad von Günter Beier hat in den letzten vier Jahren ziemlich abgenommen. Dabei gab es eine Zeit, in der man auf ihn, den Schausteller in der vierten Generation, und seine Tornadobahn nicht verzichtet hätte. Beier und seine Familie besaßen nämlich damals eines der größten Fahrgeschäfte der DDR. Günter Beier und seine Tornadobahn – eine Art Raupe mit in sich beweglichen Gondeln – gehörten nämlich zu den unabdingbaren Bestandteilen einer gelungenen Kirmes à la DDR.

Kurz nach der Wende, auf einem Leipziger Volksfest, erhielten Günter Beier und sein Kollege allerdings schon einen Vorgeschmack auf das, was folgen sollte. Eine bis spät in die Nacht geöffnete westliche Stadtranddisco lockte dem Rummel die Kunden weg: „Wir trösteten uns aber alle damit, daß das nur die Talsohle sein kann“, sagt Beier. Die hält allerdings für die Schausteller-Familie seitdem an.

Viel von der Ausrüstung, auf die man zu DDR-Zeiten so stolz war, ist heute nicht mehr zu gebrauchen. Angefangen bei den Steckdosen, die nicht mehr der DIN- Norm entsprechen, bis hin zu den LKWs, die mit den Anhängern nach heutigen Gesetzesvorschriften glatte vier Meter zu lang sind, müßte alles ersetzt werden. Sehr viel Geld muß man investieren, um wieder loszufahren.

Im rekonstruierten Dorfkern Marzahns liegt der 1969 erworbene Hof der Familie. Damals hatte man dort eine Werkstatt eingerichtet, um den Fahrbetrieb in Schuß halten zu können. Als nach der Wende die Gastspielverträge ausblieben, baute Beier dort eine täglich geöffnete Klein-Kirmes auf. Mit Getränkeausschank, Losbude, Kinderkarussell und Imbiß – und natürlich der Tornadobahn, denn: „Wenn etwas erst mal liegt, dann geht es kaputt.“

In seinem Gewerbe ist, beispielsweise bei Gewinnartikeln für die Losbude, die Konkurrenz aus Fernost übermächtig. Die Vertreter für die ehedem sogar im Westen so geschätzten Sonneberger Plüschtiere muß Beier schweren Herzens regelmäßig wegschicken: „Bei den Preisen, was soll ich tun?“ Dabei räumt der Schausteller, der sich immer gern seine eigenen Gedanken machte, ein: „Wir leiden doch alle am DDR-Syndrom. Man lebt doch immer im Vergleich zur Vergangenheit.“

Schon vor dem November 1989 hat Beier versucht, seinen Kunden etwas mehr Selbstbewußtsein zu vermitteln. „Die fragten oft: ,Kann ich vier Fahrscheine haben?‘, und ich forderte sie dann auf: ,Sagen Sie: Ich hätte gerne Karten, denn Sie haben das Recht, sie zu verlangen, und müssen nicht untertänig darum bitten!‘“

So hat er auch in der DDR nur das akzeptiert, wofür es ihm einleuchtende Gründe gab. Zu den Tornadofahrten wurden in Polen erworbene Beatles-Platten zu einer Zeit gespielt, als man das offiziell überhaupt nicht gerne hörte. In Leipzig erhielt er gar Auftrittsverbot: „Ich habe mich bei der Sonderwache beschwert, weil die Polizei Jugendliche aus den Gondeln holte und verhaftete.“ Das Vergehen der jungen Leute: Sie trugen lange Haare und Abzeichen mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“.

„Ich habe denen gesagt, sie sollen doch Fotos aufhängen, wie der Besucher auszusehen hat.“ Vertragskündigung war die Folge, die man erst nach langem Hin und Her wieder rückgängig machte, denn schließlich konnte man auf die Tornadobahn nicht verzichten.

„Der tägliche Kampf macht müde, heute mehr als früher.“ So umreißt Beier seine derzeitige Situation. Im Moment ist sie geprägt vom Hickhack mit dem Bauamt, das die neu aufgebauten Toiletten, ohne die der Kundenbetrieb unmöglich ist, bemängelt. Der Innenhof steht zwar nicht, wie die Fassade des Bauernhofs, unter Denkmalschutz, aber trotzdem werden die Installationen in absehbarer Zeit wohl wieder abgerissen werden müssen... „Die ganze DDR geht den Bach runter, und die ziehen sich am Lokus hoch!“ bringt Beier seine Einstellung dazu auf den Punkt.

Und natürlich gibt es auch Ärger mit den hiesigen Jugendlichen: „Skins wollten sich in unserem Geschäft niederlassen, aber ich habe denen gleich Hausverbot ertelt. Sie haben das akzeptiert. Wenn man ihnen gegenüber Angst zeigt, hat man gleich verloren.“

Im Januar wird die Marzahner Kirmes erst einmal geschlossen bleiben, denn die mitarbeitenden Angehörigen des Familienbetriebes, der „nur unter Selbstausbeutung existieren kann“, haben nach der einjährigen Arbeit mit 14-Stunden-Tagen Anrecht auf Erholung. Vielleicht wird dann auch wieder darüber diskutiert werden, mit der Tornadobahn auf große Fahrt zu gehen. Der Schausteller – „Die Zeit geht in rasender Fahrt über uns hinweg“ – hat die Hoffnung auf einen Neuanfang, wie er sagt, jedenfalls aufgegeben. Abfinden mit der Situation aber kann er sich nicht: „Ich war mit Leib und Seele Schausteller, hier auf dem Hof fühle ich mich wie in einem Gefängnis.“ Elke Wittich